Nach langem hin und her haben die seit Januar 2024 unter belgischem Ratsvorsitz geführten Verhandlungen doch noch zu einem Kompromiss geführt, der von den nationalen Arbeitsministern angenommen wurde.
Der nächste Schritt ist die förmliche Annahme des Entwurfs durch den EU-Rat und anschließend seine Verkündung und Veröffentlichung im Amtsblatt. Nach der Veröffentlichung haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, um die Bestimmungen der Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Ziel des Richtlinienentwurfs ist es, die Arbeitsbedingungen von Plattformbeschäftigten - sog. Gig-Economy Workers - zu verbessern, den Schutz personenbezogener Daten zu erhöhen und gleichzeitig die Transparenzen der Plattformarbeit zu steigern. In den meisten Fällen werden Plattformbeschäftigte derzeit nicht als Arbeitnehmer, sondern als Selbstständige behandelt und genießen daher keinen arbeitsrechtlichen Schutz. Der Richtlinienentwurf dient daher in erster Linie der Abgrenzung zwischen Selbstständigkeit und einem Anstellungsverhältnis. In seiner endgültigen, nun verabschiedeten Fassung wird der Richtlinienentwurf im Vergleich zu früheren Entwürfen als eine etwas abgeschwächte Version angesehen (wie im Folgenden erläutert wird).
Was die gesellschaftlichen Auswirkungen betrifft, so wird geschätzt, dass es derzeit etwa 5,5 Millionen Plattformbeschäftigte in der EU gibt, die überwiegend hochqualifiziert sind und die überwiegende Mehrheit davon Aufgaben in einem Neben- oder Hilfsjob wahrnimmt.
In diesem Newsletter werden wir uns im Wesentlichen auf den ersten (am stärksten mediatisierten) Teil des Richtlinienentwurfs konzentrieren, den Status von Plattformbeschäftigten.
Bei der Plattformarbeit, auch bekannt als "Crowd Economy oder Gig Economy", verteilt eine digitale Arbeitsplattform Arbeitsaufträge an einzelne externe Beschäftigte, die diese dann an einem Computer oder an einem anderen festgelegten Ort erledigen müssen. Diese Beschäftigten sind entweder selbständig oder bei der Plattform angestellt.
Variante 1:
Variante 2:
Nach dem Richtlinienentwurf ist unter einer Plattform eine Dienstleistung zu verstehen, die zumindest teilweise im Fernabsatz auf elektronischem Wege, z. B. über eine Website, eine mobile Anwendung oder auf Verlangen eines Dienstleistungsempfängers erbracht wird, was als notwendigen und wesentlichen Bestandteil die Organisation von Arbeit umfasst, die von Einzelpersonen gegen Entgelt erbracht wird (unabhängig davon, ob diese Arbeit online oder an einem bestimmten Ort erbracht wird), und die den Einsatz automatisierter Überwachungs- oder Entscheidungssysteme beinhaltet.
Klassische Beispiele für solche Plattformen sind: Lieferando, Uber, Deliveroo, Wolt oder Fiverr.
Um festzustellen, ob eine Plattform existiert, ist es relevant, ob sie die Dienstleistung in irgendeiner Weise kontrollieren kann. Reine Stellenvermittlungsportale, wie Stepstone oder Monster, stellen daher nach derzeitiger Auflage keine Plattformen dar. In Anbetracht der weiten Definition einer Plattform kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch "traditionellere Unternehmen" in der Dienstleistungsbranche in den Anwendungsbereich des Richtlinienentwurfs fallen würden, die die Anforderungen der obigen Definition für einen Teil ihrer Geschäftstätigkeit erfüllen (z.B. Softwareentwicklung, IT-Wartung/Reparatur und ähnliches).
Auch Anbieter, deren Hauptzweck der Verkauf von Waren oder der Weiterverkauf von Waren und Dienstleistungen ist, werden nicht erfasst. Dies bedeutet, dass insbesondere Amazon, Airbnb und ähnliche Anbieter nicht in den Anwendungsbereich des Richtlinienentwurfs fallen.
Da der Richtlinienentwurf auf den Schutz der Plattformbeschäftigten und ihrer Arbeitsbedingungen abzielt, ist die Bestimmung des richtigen Status (Arbeitnehmer oder Selbständiger) das Schlüsselelement der rechtlichen Rahmenbedingungen.
Im Gegensatz zu früheren (nicht akzeptierten) Entwürfen überlässt es der Richtlinienentwurf nun den Mitgliedstaaten, geeignete und wirksame Verfahren einzuführen/vorzuhalten, um die korrekte Bestimmung des Beschäftigungsstatus von Personen, die Plattformarbeit leisten, zu überprüfen und sicherzustellen. Ziel ist es, das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im Sinne der in den Mitgliedstaaten geltenden Gesetze, Tarifverträge oder Gewohnheitsrecht festzustellen. Dabei wenden die Mitgliedstaaten die Vermutungsregel an, nach der ein Plattformbeschäftigter als Arbeitnehmer der Plattform gilt, wenn die Plattform die Kontrolle und Leitung über die Arbeitsleistung ausübt.
Anstatt einen Kriterienkatalog aufzustellen, der zwingend angibt, ob die Vermutung zutrifft (wie es der vorherige Entwurf vorsah), weicht der nun gefundene Kompromiss von dieser Linie ab und überlässt es den Mitgliedstaaten, auf der Grundlage allgemeiner Grundsätze einen eigenen Kriterienkatalog aufzustellen, der wie folgt lautet: Das Vertragsverhältnis zwischen einer Plattform und einer Person, die über diese Plattform Plattformarbeit leistet, wird rechtlich als Arbeitsverhältnis vermutet, wenn Tatsachen festgestellt werden, die auf eine Kontrolle und Leitung der Plattform über die Person gemäß den in den Mitgliedstaaten geltenden nationalen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder Gewohnheitsrecht hindeuten. Sie orientieren sich in erster Linie an den Tatsachen, die sich auf die tatsächliche Ausführung der Arbeit beziehen, einschließlich des Einsatzes automatisierter Überwachungs- oder Entscheidungssysteme bei der Organisation der Plattformarbeit, und zwar unabhängig davon, wie das Verhältnis in einer etwaigen vertraglichen Vereinbarung zwischen den beteiligten Parteien eingestuft wird.
Wenn die Vermutungsregel zutrifft (d.h. von der Plattform nicht erfolgreich widerlegt werden kann), gilt der Plattformbeschäftigte als Arbeitnehmer, mit der Folge, dass der Plattformanbieter alle rechtlichen Verpflichtungen gegenüber dem Plattformbeschäftigten hat.
Wichtig ist, dass die oben genannte Vermutungsregel derzeit nur für Verfahren im Rahmen des Arbeitsrechts gilt, nicht aber für Verfahren im Rahmen des Strafrechts, der sozialen Sicherheit oder des Steuerrechts. Der Richtlinienentwurf sieht jedoch ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass der nationale Gesetzgeber die Vermutung im Rahmen des Umsetzungsprozesses auch auf Sozialversicherungs-, Steuer- und Strafverfahren anwenden kann.
Die (Um-)Qualifizierung des Berufsverhältnisses in ein Arbeitsverhältnis mit Anwendung aller zwingenden Regeln des Arbeitsrechts hat unmittelbare Kostenfolgen für alle digitalen Arbeitsplattformen.
Unter Berücksichtigung (und ohne Vorwegnahme) der großen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten kann man eine Reihe von Merkmalen jedes Arbeitsverhältnisses auflisten, die direkte Kostenfolgen haben, wie z.B. (i) obligatorischer Sozialversicherungsschutz, (ii) zwingende Entgeltleistungen (Weihnachtgeld, Urlaubsgeld und sonstige Vergütungsleistungen), (iii) Entgeltfortzahlung (bei Arbeitsunfähigkeit, Arbeitsverhinderung, Urlaub, sonstige Fälle wie z.B. bei Mutterschaft usw.), (iv) und allgemeiner und besonderer Kündigungsschutz sowie (v) weitere Regeln des Arbeitnehmerschutzes, wie z.B. das Arbeitszeitgesetz.
Wenn – wie zu erwarten ist – die Mitgliedstaaten die Bestimmungen des Richtlinienentwurfs auch auf Fragen der Sozialversicherung und der Einkommenssteuer anwenden würden, wird der Kosteneffekt des Richtlinienentwurfs für die Plattformen noch viel gravierender.
Die ursprünglich ambitionierten Ziele der Gesetzgebungsinitiative der Plattformrichtlinie wurden deutlich nach unten korrigiert. Anstatt in der gesamten Europäischen Union einheitliche Standards, Kriterien und Regeln für die Definition eines Arbeitsverhältnisses festzulegen (was einige kritische Anmerkungen, auch zur Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Sozialpolitik nach Artikel 153 AEUV, erforderlich gemacht hätte), spiegelt der jüngste Ansatz politischen Realismus wider.
Die heikelsten Fragen (Bestimmung des Status von Plattformbeschäftigten) wurden nun zur Regelung an die Mitgliedstaaten delegiert. In Anbetracht der unterschiedlichen Auffassungen in der EU zu diesem Thema scheint dies ein realistischer Ansatz zu sein. Kritiker befürchten jedoch zu Recht einen Flickenteppich nationaler Regelungen, der zu noch mehr Unsicherheit führen wird. Das steht mehr oder weniger im Einklang mit dem Flickenteppich der Rechtsprechung (zum richtigen Status von Plattformbeschäftigten), der derzeit in vielen Mitgliedstaaten herrscht. Die Regelungen aus der EU macht aber ein einheitliches und vor allem ein grenzüberschreitendes Handeln sehr schwierig. Das ist bedenklich.
Daher ist der von den Initiatoren dieser Gesetzgebungsinitiative angestrebte einheitliche und verstärkte Schutz offensichtlich nicht so leicht zu erreichen gewesen.
Außerdem wirft der gewählte Ansatz mit der Delegation von Schlüsselfragen an die Mitgliedstaaten die Frage auf, was in jenen Mitgliedstaaten geschehen wird, in denen ein sogenannter "dritter Weg" in Verordnungen geschaffen wurde. Dieser dritte Weg, obwohl er sich weder direkt noch ausschließlich auf Gig- oder Plattformbeschäftigte bezieht, greift eindeutig in die gesamte Diskussion über den richtigen Status moderner Beschäftigter ein. Nach diesen Verordnungen werden diese Beschäftigten irgendwo zwischen dem Status eines Selbstständigen und eines Arbeitnehmers angesiedelt (in den Niederlanden, Frankreich und auch im Vereinigten Königreich). Wie fügt sich die neue Richtlinie in diesen Ansatz ein?
In Kenntnis über die Grenzen der Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich erstreckt sich die Vermutungsregel der Richtlinie nicht auf das Sozialversicherungs- oder Steuerrecht. Viele Mitgliedstaaten werden jedoch durch den angebotenen Türöffner in Versuchung geführt und dieselben oder ähnliche Regeln (Kriterien und Standards für die Bestimmung des Beschäftigungsverhältnisses) für diese spezifischen Ziele anwenden, was für Unternehmen und Plattformen sehr belastend wäre.
Der nächste Schritt – nach der formellen Verabschiedung der Richtlinie – besteht darin, zu prüfen und zu untersuchen, wie, in welchem Umfang und zu welchen Bedingungen die verschiedenen Mitgliedstaaten die Richtlinie umsetzen werden. Der Flickenteppich nimmt kein Ende...