Das Corona Virus hat die Produktion und Lieferketten in verschiedenen Branchen und Industriezweigen mittlerweile stark eingeschränkt oder gar vollständig zum Erliegen gebracht. Gleichzeitig fehlen in den Krankenhäusern, in der Pflege und auch bei Polizei und Rettungsdiensten dringend benötigte Masken und Schutzausrüstung. Kliniken und Laboren mangelt es zudem an Beatmungsgeräten, Reagenzien für Tests und anderen Medizinprodukten.
Vor diesem Hintergrund erwägen zahlreiche Unternehmen unterschiedlicher Branchen – z. B. aus der Automobil- oder der Textilindustrie und dem Maschinenbau - ihre Produktion ganz oder teilweise auf die Herstellung von Schutzausrüstung, Beatmungsgeräten oder anderen dringend benötigten Medizinprodukten umzustellen. Für solche „branchenfremden“ Tätigkeiten sind eine Vielzahl von den betroffenen Unternehmen möglicherweise unbekannten Vorschriften zu beachten. Aktuell existieren zwar diverse Initiativen u.a. des Bundesgesundheitsministeriums, um die benötigten Produkte zeitnah zur Verfügung zu stellen und die Krise so besser zu bewältigen. Es empfiehlt sich daher gerade für kleine und mittelständische Unternehmen, hier aktive den Kontakt zu staatlichen Stellen zu suchen. Auch in dieser Konstellation ist es jedoch auch sehr wichtig, die wichtigsten rechtlichen Vorgaben zu kennen und zu beachten:
Eine Reihe der fraglichen Produkte sind regulatorisch als Medizinprodukte einzuordnen. Hierzu zählen insbesondere Atemschutzmasken, Beatmungsgeräte und auch Handy-Anwendungen zur Einordnung möglicher Symptome.
2.1 Das im Zusammenhang mit der Corona-Krise gerade erlassene „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer Epidemie von nationaler Tragweite“ (Link) sieht vor, dass das Bundesgesundheitsministerium im Wege der Verordnung anordnen darf, bestimmte Medizinprodukte ohne CE Zertifizierung auf den Markt zu bringen, vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 4 Infektionsschutzgesetz n.F. Bisher(Stand vom 31.03.2020) sind noch keine entsprechenden Verordnungen erlassen worden – hier gilt es, die regulatorischen Vorgaben tagesaktuell zu beobachten.
2.2 Darüber hinaus gibt § 11 Abs. 1 des aktuell gültigen Medizinproduktegesetz die Möglichkeit, eine Sondergenehmigung für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten ohne CE Zertifizierung zu beantragen. Zuständig für die Erteilung solcher Sondergenehmigungen ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn, das ebenfalls zeitnah entsprechende Leitlinien angekündigt hat.
Die beiden Ausnahmen erlauben in vielen Fällen, dass branchenfremde Unternehmen dringend erforderliche Produkte schneller als üblich auf den Markt bringen können.
Halten Unternehmen die regulatorischen Vorgaben nicht ein, so können neben behördlichen Sanktionen auch Wettbewerber die Missachtung dieser Vorgaben regelmäßig über das Wettbewerbsrecht vor den Zivilgerichten geltend machen. In der Folge könnten dann schlimmstenfalls sogar eine einstweilige Verfügung drohen, die den Vertrieb unmöglich macht.
Des Weiteren unterliegen Medizinprodukte auch im Hinblick auf ihre Bewerbung besonders strengen Anforderungen, die sich unter anderem aus dem Heilmittelwerbegesetz ergeben können.
Die Nachahmung von Produkten kann ebenfalls unlauter und damit unzulässig sein, selbst wenn kein Sonderrechtsschutz aus Patenten, Marken oder Designs besteht. Voraussetzung ist hier jedoch über die Nachahmung hinaus eine besondere Unlauterkeit, die etwa besteht, wenn ohne Not ein Produkt eines Dritten besonders stark imitiert wird. Wenn allerdings vor dem Hintergrund der aktuellen Krise ein nachvollziehbarer Grund besteht, warum das Produkt dem Vorbild so ähnlich sein sollte wie möglich und deshalb an sich bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten nicht genutzt werden, werden Gerichte wohl zurückhaltend sein, eine Nachahmung dringend benötigter Güter wegen Unlauterkeit zu untersagen.
Bei der Herstellung und der Vermarktung von Produkten infolge einer Produktionsumstellung sind auch etwaige IP-Rechte Dritter zu beachten. Hierzu zählen insbesondere Patente und Designs.
Viele aktuell gängige Produktkategorien sind durch Patente Dritter betroffen, entweder im Hinblick auf das Gesamtprodukt (z.B. ein Beatmungsgerät) oder lediglich ein Teil davon (z.B. seine Steuerung und Sensorik). Vor diesem Hintergrund sollten Schutzrechte Dritter in die Überlegung einbezogen werden, welche Produkte gefertigt werden. Es spricht viel dafür, dass in der jetzigen Situation Lizenzen deutlich großzügiger erteilt werden. Zur Not sind auch Zwangslizenzen denkbar (dies ist so vor kurzem für ein Medikament erfolgt) bzw. eine Anordnung, dass eine Erfindung im öffentlichen Interesse benutzt werden kann (vgl. § 13 Abs. 1 PatG). Diese Anordnungsbefugnis wurde mit dem bereits erwähnten „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer Epidemie von nationaler Tragweite“ nun präzisiert für Arzneimittel, Medizinprodukte, Labordiagnostik, Gegenstände der persönlichen Schutzausrüstung oder Desinfektionsmittel.
Die Form von Produkten kann ebenfalls Gegenstand von Schutzrechten sein. Unnötiges Kopieren sollte verhindert werden. Zwar gibt es im Designrecht keine Zwangslizenzen, aber gleichwohl könnte die Durchsetzung von Designrechten in der aktuellen Situation im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich bewertet werden, wenn es sich um dringend benötigte Medizinprodukte handelt und ein Interesse besteht, dass diese mit bestehenden Produkten identisch oder kompatibel sind.
Der weit überwiegende Teil der fraglichen Produkte findet in Krankenhäusern, bei Rettungsdiensten und in Katastrophenschutzeinrichtungen Einsatz. Hierbei handelt es sich um Akteure der öffentlichen Hand, die grundsätzlich dem europäischen Vergaberecht unterliegen. In der aktuellen Krisensituation existieren in vergaberechtlicher Hinsicht verschiedene Instrumente, um einen schnellen und effizienten Vertragsschluss zu gewährleisten.
In einigen Fällen erfordert die Herstellung branchenfremder Produkte die Zusammenarbeit mit etablierten Herstellern bzw. mit anderen Unternehmen, die in ähnlicher Weise ihre Produktion auf dringend erforderliche Produkte umgestellt haben. Diese Zusammenarbeit involviert notwendig den Austausch vertraulicher und teilweise wettbewerblich sensibler Informationen zwischen Wettbewerbern. Dies könnte - unter normalen Umständen - kartellrechtliche Bedenken aufwerfen.
In einer gemeinsamen Erklärung vom 17. März 2020 zur Anwendung der europäischen Wettbewerbsregeln während der Coronavirus-Krise (Link) haben die europäischen Wettbewerbsbehörden jedoch ausdrücklich anerkannt, "dass die außergewöhnliche Situation die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen erfordert, um die Belieferung mit knappen Produkten sicherzustellen". Die Behörden werden daher nicht aktiv gegen "notwendige und zeitlich beschränkte Maßnahmen, die Lieferengpässe verhindern sollen", einschreiten. Die Erklärung führt aus, dass derartige Maßnahmen entweder keine Wettbewerbsbeschränkung darstellen oder jedenfalls durch Effizienzgewinne gerechtfertigt sind. Die Aufnahme der Produktion knapper Güter durch branchenfremde Unternehmen stärkt in der Tat den Wettbewerb, da hierdurch neue Anbieter in den Markt eintreten. Der Austausch sensibler Informationen zwischen etablierten und branchenfremden Anbietern ist daher in der Regel nicht wettbewerbsbeschränkend, sondern vielmehr wettbewerbsfördernd. Soweit er auf das notwendige Maß beschränkt ist, ist er auf jeden Fall durch überwiegende öffentliche Interessen gerechtfertigt.
Die gemeinsame Erklärung betont, dass sich Unternehmen für Einzelfallberatungen gerne an die nationalen Wettbewerbsbehörden, die Kommission oder die EFTA-Überwachungsbehörde wenden können.