Gelber Schein ade!? – Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) kommt

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Julia Neuper

Associate
Deutschland

Als Rechtsanwältin und Mitglied unseres Arbeitsrechtsteams im Düsseldorfer Büro berate ich nationale und internationale Mandanten in sämtlichen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.

Arbeitnehmer sollen ab dem 1. Januar 2023 ihre Arbeitsunfähigkeit nach dem dritten Tag der Arbeitsunfähigkeit ärztlich nur noch feststellen lassen. In einem elektronischen Verfahren können Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) dann selbst bei den Krankenkassen anfordern.

Nachdem das Betriebsrätemodernisierungsgesetz am 18. Juni 2021 digitale Aspekte in das tradierte System des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) brachte, schreitet die Digitalisierung auch in anderen Bereichen des Arbeitsrechts voran. Der Gesetzgeber sieht zum 1. Januar 2023 in Kraft tretende Gesetzesänderungen im Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) und im Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) vor, die das überkommene Verfahren bei der Krankmeldung durch die Arbeitnehmer digitalisieren und Papierprozesse weitestgehend obsolet machen.

Verfahren nach der aktuellen Geseteslage - Mitteilungs- und Nachweispflicht 

§ 5 Abs. 1 EZFG regelt derzeit eine Mitteilungspflicht und Nachweispflicht der Arbeitnehmer. Diese sind danach verpflichtet ihrem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer mitzuteilen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage müssen Arbeitnehmer ihre Arbeitsunfähigkeit gegenüber ihrem Arbeitgeber nachweisen, indem sie die Arbeitsunfähigkeit ärztlich attestieren lassen (sog. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bzw. AU-Bescheinigung). Mit der Vorlage der AU-Bescheinigung genügen Arbeitnehmer dann der gesetzlichen Nachweispflicht.

Elektronisches Verfahren ab dem 1. Januar 2023 - Mitteilungs- und Feststellungspflicht

Zum 1. Januar 2023 tritt der § 5 Abs. 1a EFZG in Kraft, wonach es bei der Mitteilungspflicht nach der bisherigen Gesetzeslage bleibt. Dem Arbeitgeber muss also weiterhin das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer mitgeteilt werden. Für Arbeitnehmer, die hingegen Mitglied einer gesetzlichen Krankversicherung sind, gilt jedoch keine Nachweispflicht mehr. Die Nachweispflicht wird durch eine für Arbeitnehmer weniger aufwendige Feststellungs- und Aushändigungspflicht ersetzt. Danach müssen betroffene Arbeitnehmer ihre Arbeitsunfähigkeit nach dem dritten Kalendertag lediglich ärztlich feststellen und sich eine ärztliche Bescheinigung aushändigen lassen. Auch nach dem neuen Gesetzeswortlaut haben Arbeitgeber jedoch das Recht, die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit früher zu verlangen. Der Papiernachweis des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber entfällt. Der Gesetzgeber sieht für den Nachweis dann ein elektronisches Verfahren vor, an dem die Arbeitnehmer nicht mehr beteiligt sind. Die Ausstellungspflicht ist lediglich im Sinne der Arbeitnehmer und dient dem Nachweis bei Störfällen oder Übermittlungsfehlern des elektronischen Verfahrens. Auch nach der Gesetzesänderungen bleiben Arbeitnehmer jedoch weiterhin verpflichtet dem Arbeitgeber ihre Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen (§ 5 Abs. 1 S. 1 EZFG).

Nicht von der Feststellungspflicht umfasst sind privat versicherte Arbeitnehmer und geringfügig Beschäftigte in Privathaushalten. Die Neuregelung gilt ebenfalls nicht für solche Fälle, in denen die Arbeitsunfähigkeit durch Ärzte festgestellt wird, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen. In all diese Fällen bleibt es bei der Mitteilungs- und Nachweispflicht nach der bisherigen Gesetzeslage.

Elektronisches Verfahren zwischen Ärzten, Krankenkassen und Arbeitgebern

Die entsprechenden Vorkehrungen für ein elektronisches Verfahren wurden teilweise schon gesetzlich umgesetzt. Die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen sind bereits jetzt nach § 295 SGB V verpflichtet, die von ihnen festgestellten Arbeitsunfähigkeitsdaten an die gesetzliche Krankenkasse zu übermitteln. Ab dem 1. Januar 2023 haben gesetzliche Krankenkassen nach § 109 SGB IV n.F. wiederrum die Pflicht nach Eingang der Arbeitsunfähigkeitsdaten eine Meldung zum Abruf für Arbeitgeber bereitzustellen. Diese Meldung hat insbesondere folgende Daten zu enthalten:

  • den Namen des oder der Beschäftigten,
  • den Beginn und das Ende der Arbeitsunfähigkeit, 
  • das Datum der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, 
  • die Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung und 
  • die Angabe, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Arbeitsunfähigkeit auf einem Arbeitsunfall oder sonstigen Unfall oder auf den Folgen eines Arbeitsunfalls oder sonstigen Unfalls beruht. 

Ein entsprechendes Verfahren ist nach Eingang der voraussichtlichen Dauer und des Endes eines stationären Krankenhausaufenthalts und nach Eingang von Arbeitsunfähigkeitsdaten bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten vorgesehen.

Praxishinweis

Die kommenden Änderungen im Zusammenhang mit der verpflichtenden eAU sind insgesamt zu begrüßen. Die sukzessive Digitalisierungsstrategie des Gesetzgebers hat in diesem Fall eine doppelte Wirkung. Zum einen stellt die Umstellung auf das elektronische System einen notwendigen Schritt im Rahmen des digitalen Wandels dar und soll langfristig die bisherige Zettelwirtschaft beseitigen. Zum anderen werden Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Arbeitsunfähigkeitsfall unabhängiger voneinander. Arbeitgeber müssen nicht mehr auf den händischen Nachweis durch die Arbeitnehmer warten, sondern können nach dem dritten Tag die Arbeitsunfähigkeitsdaten selbst abrufen. Dies verschafft insbesondere Vorteile bei der Personalplanung. Demgegenüber sind arbeitsunfähige Arbeitnehmer von der bisher bestehenden Nachweispflicht befreit und müssen sich nicht um die zeitnahe Vorlage der Papierbescheinigung bei ihrem Arbeitgeber kümmern. Dieser Umstand trägt zur Regeneration der Arbeitsfähigkeit bei.

Gleichwohl scheint es bis zur vollständigen Digitalisierung noch ein langer Weg zu sein. Angesichts der bestehenden Ausstellungspflicht geht der Gesetzgeber offenbar davon aus, dass das elektronische System (zumindest nicht ab Beginn) einwandfrei funktionieren werde, sodass weiterhin eine Aushändigungspflicht besteht in Bezug auf die ärztliche Bescheinigung. Ausweislich der Gesetzesbegründung bleibt die Ausstellungspflicht bestehen, bis ein elektronisches Äquivalent zur Papierbescheinigung mit gleich hohem Beweiswert implementiert wurde. Den Arbeitnehmern wird daher nicht nur für den Störfall eine Beweismöglichkeit eröffnet. Der „gelbe Schein“ bleibt damit vorerst als das Symbol der Arbeitsunfähigkeit erhalten. Letztlich bleibt auch der Datenschutz ein relevantes Problem. So sind die mitzuteilenden Daten der eAU gesetzlich nicht abschließend aufgezählt. Fraglich bleibt schließlich der Umgang mit Datenschutzverstößen im Zusammenhang mit krankheitsbedingten Kündigungen.

Arbeitgeber müssen entsprechend zum 1. Januar 2023 gewährleisten, dass sie über die erforderlichen technischen Systeme verfügen, um die Bescheinigungen bei den jeweiligen Krankenkassen abzurufen. Ferner sollten die Arbeitnehmer im Intranet oder durch ein Informationsschreiben vorsorglich über die Änderungen informiert werden. Hinsichtlich solcher Arbeitsverträge, die ab dem 1. Januar 2023 abgeschlossen werden, sollte sichergestellt werden, dass statt der Nachweispflicht die Feststellungspflicht enthalten ist bzw. auf die gesetzlichen Vorschriften des EFZG verwiesen wird.

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