Am 29. September 2023 hat der Bundesrat das Verbandsklagerichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG) verabschiedet. Das Gesetz dient der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen. Mit der Einführung des VRUG kommt es gleichzeitig zur Einführung des Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetzes (VDuG) sowie zu Änderungen diverser bestehender Gesetze wie der ZPO, dem GVG und dem BGB. Ziel ist es, den kollektiven Rechtsschutz der Verbraucher:innen in Deutschland zu verbessern.
Bei der Umsetzung der Verbandsklagen-RL wurde ein selbstständiges Instrument geschaffen, die sog. Abhilfeklage. Dabei handelt es sich um eine kollektive Leistungsklage, mit deren Hilfe Verbraucher:innen in einem einstufigen Verfahren von dem beklagten Unternehmen direkt Leistung in Form von Zahlung, Nacherfüllung wie Reparatur, Ersatzleistung, Preisminderung, Vertragsauflösung oder Erstattung des gezahlten Preises verlangen können. Die 2018 eingeführte Musterfeststellungsklage, die bereits einen ersten Schritt in Richtung kollektiver Verbraucherschutz darstellte, wird als eigenständiges Instrument aus der ZPO gelöst und zusammen mit der Abhilfeklage im VDuG als sogenannte Verbandsklagen zusammengefasst.
Die Musterfeststellungsklage und die Abhilfeklage eint, dass beide nur durch spezielle klageberechtigte Stellen erhoben werden können. Dabei handelt es sich entweder um qualifizierte Verbraucherverbände u. a. aus den Bereichen Umweltschutz, Verbraucherschutz, Datenschutz und Gesundheitsschutz oder um qualifizierte Einrichtungen anderer Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (§ 2 Abs. 1 VDuG). Inwiefern Verbraucher:innen über die klageberechtigten Stellen von der Verbandsklage in Form der Abhilfeklage Gebrauch machen, wird sich zeigen. Die Anwendungsbereiche dürften jedenfalls vielfältig sein: Stark standardisierte Vertragswerke (dort die Frage nach der Gültigkeit spezifischer Vertragsklauseln) beispielsweise im Bankenwesen könnten mittels einer Abhilfeklage auf den Prüfstand gestellt werden. Die Abhilfeklage kann auch dazu dienen, Verstöße gegen Datenschutzbestimmungen, irreführende Werbung oder mangelhafte Produktqualität zu sanktionieren.
Die neue Abhilfeklage geht in einem entscheidenden Punkt über die bisherigen, nur auf Feststellung und auf Unterlassung gerichteten, kollektiven Klagen in Deutschland hinaus. Der langatmige Umweg über die zunächst kollektiv zu erreichende Feststellung, dass ein Unternehmen Verbraucherrechte verletzt hat, und die im Anschluss durch den einzelnen Verbraucher zwingend noch zu erhebende Individualklage ist nun passé.
Seit der Veröffentlichung des ersten Gesetzentwurfs hat sich einiges verändert. Im Ergebnis wurde die Durchsetzung der Ansprüche von Verbraucher:innen sowie von kleinen Unternehmen erheblich vereinfacht:
Verbraucher:innen können ihre Ansprüche deutlich länger als zunächst vorgesehen, nämlich noch bis zum Ablauf von drei Wochen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung in das Verbandsklageregister anmelden (§ 46 Abs. 1 VDuG). Sie können damit den Verlauf der mündlichen Verhandlung abwarten, bis sie über einen Beitritt entscheiden. Dadurch sind die Verbraucher:innen einem minimalen Risiko ausgesetzt. Sie beteiligen sich zu einem Zeitpunkt am Verfahren, zu dem es oftmals bereits eine Prognose über die Erfolgsaussichten gibt. Für das beklagte Unternehmen wird hingegen das Anspruchsvolumen erst sehr spät abschätzbar.
Gleich bleibt, dass für eine Abhilfeklage mindestens 50 betroffene Verbraucher:innen zusammenkommen müssen. Nach Erreichen dieses Quorums können andere betroffene Verbraucher:innen ihre Ansprüche im Verbandsklageregister des Bundesamtes für Justiz anmelden (sog. Opt-in). Neu ist, dass die klageberechtigte Stelle in der Klageschrift nur noch „nachvollziehbar darlegen“ muss, dass mindestens 50 Verbraucher:innen betroffen sein könnten (§ 4 Abs. 1 VDuG). In einem ersten Gesetzentwurf musste die Klagestelle dies noch „glaubhaftmachen“. Mit der Herabsetzung dieser Anforderung wird im Ergebnis ein Beweis der tatsächlichen Betroffenheit für die Zulässigkeit nicht (mehr) vorausgesetzt.
Neben Verbraucher:innen sollen auch kleine Unternehmen, die weniger als 10 Beschäftigte und einen Jahresumsatz oder eine Jahresbilanz von weniger als EUR 2 Mio. haben (§ 1 Abs. 2 VDuG), Zugang zur neuen kollektiven Abhilfeklage haben. Unternehmen, die diese Schwelle überschreiten, verfügen nach der Begründung des Gesetzgebers hingegen über ausreichend eigene Ressourcen, um Ansprüche selbstständig durchzusetzen. Der Gesetzgeber hat damit den Kreis der berechtigten Personen noch einmal verengt. Im ursprünglichen Gesetzentwurf sollten auch Unternehmen mit 50 Beschäftigten und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanz von EUR 10 Mio. als Verbraucher im Sinne des Gesetzes gelten.
Das Verfahren der Abhilfeklage sieht drei Phasen vor: Abhilfegrundurteil, Vergleich und Abhilfeendurteil. Das Gericht erlässt ein Abhilfegrundurteil, wenn es die Abhilfeklage dem Grunde nach für begründet hält. Nach Erlass des Abhilfegrundurteils sind die Parteien aufgefordert, einen schriftlichen Vergleichsvorschlag zur Umsetzung des Abhilfegrundurteils zu unterbreiten. Für den Fall, dass das Abhilfeverfahren nicht durch wirksamen Vergleich beendet wird, entscheidet das Gericht schließlich durch Abhilfeendurteil. Soweit die Abhilfeklage nicht selbst einen kollektiven Gesamtbetrag beziffert, ist vorgesehen, dass das Gericht die Höhe des kollektiven Gesamtbetrags unter Würdigung aller Umstände frei bestimmt. Die Umsetzung eines solchen Abhilfeendurteils erfolgt mittels eines dafür gesondert eingesetzten Sachwalters. Der Sachwalter errichtet einen Umsetzungsfonds und organisiert die Verteilung des vom Gericht ausgeurteilten Gesamtbetrags an die zur Klage angemeldeten Verbraucher:innen.
Die von vielen Unternehmen im Vorfeld befürchtete Einführung einer „class action“ nach US-amerikanischem Vorbild ist nicht begründet. So wurde einerseits von der in der Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit der Einführung von Offenlegungspflichten für beweisrelevante Dokumente abgesehen. Andererseits verhindert die Tatsache, dass nur bestimmte Einrichtungen eine Klageberechtigung innehaben, dass sich ein einzelner Verbraucher zum Repräsentanten einer Vielzahl von Verbraucher:innen aufschwingt. Nur solche Einrichtungen dürfen Verbandsklagen erheben, die zum Schutz von Verbraucherinteressen im öffentlichen Interesse tätig werden. Verbandsklagen sollen so nicht als Geschäftsmodell für reine Gewinnerzielungszwecke instrumentalisiert werden können.
Es stellt sich allerdings weiterhin die Frage, wie Gerichte ohne Beurteilung des Einzelfalls Schadensersatz für eine Vielzahl von Fällen zusprechen wollen. Das Gesetz gibt auf diese Frage keine Antwort, die Gesetzesbegründung stellt jedoch klar, dass es auf die individuellen Besonderheiten gerade nicht ankommen soll. Vielmehr soll es Gerichten ermöglicht werden, über alle Fälle gebündelt in einem einzigen Verfahren zu entscheiden. Im Gesetzentwurf sollten sich die Fälle noch durch eine „Gleichartigkeit“ auszeichnen, die eine schablonenhafte Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht ermöglicht. Nunmehr müssen die Fälle nur noch „im Wesentlichen gleichartig“ sein. Auch wenn § 15 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 VDuG einzelne Fälle solcher wesentlichen Gleichartigkeit vorgeben, handelt es sich bei der Formulierung „im Wesentlichen gleichartig“ absichtlich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der im Einzelfall sachgerechte Ergebnisse ermöglichen soll. Solange eine effektive Prozessführung gewahrt und die Bündelung prozessökonomisch sinnvoll bleibt, sollen einzelne Unterschiede zwischen den von einer Abhilfeklage betroffenen Ansprüchen einem einheitlichen Verfahren nicht entgegenstehen.
Auch im Bereich der Drittfinanzierung wurde im nun verabschiedeten Gesetz noch einmal deutlich nachgeschärft: Die Möglichkeit der Prozessfinanzierung bleibt bestehen, wird aber auf eine Erfolgsbeteiligung von 10 % der von dem beklagten Unternehmen zu erbringenden Leistung begrenzt (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 VDuG). Um Drittfinanzierung transparenter (und damit im Ergebnis unattraktiver) zu machen, sieht § 4 Abs. 3 VDuG außerdem vor, dass alle Vereinbarungen zwischen Verbraucherverband und Prozessfinanzierer mit Klageeinreichung offenzulegen sind.
Bereits mit der Musterfeststellungsklage waren große Hoffnungen verbunden. Und doch ist die Zahl der seit ihrer Einführung im November 2018 erhobenen Musterfeststellungsklagen bis heute im eher niedrigen zweistelligen Bereich. Dies mag auch daran liegen, dass die Feststellung eines Rechtsverstoßes für die betroffenen Verbraucher:innen wenig greifbar ist – und vor allem nicht zur sofortigen Abhilfe der Folgen des Rechtsverstoßes führt. Mit der Abhilfeklage als Herzstück des VDuG kann sich dies ändern. Die Herabsetzung der Anforderungen soll die Möglichkeiten der Verbraucher:innen vereinfachen, ihre Rechte tatsächlich durchzusetzen. Unternehmen werden sich darauf einstellen müssen, von den klageberechtigte Stellen alsbald mit ersten Anwendungsfällen der Abhilfeklage konfrontiert zu werden. Ob sich die Hoffnungen von Verbraucherschützern jedoch erfüllen werden, und Verbraucher:innen in Zukunft schneller zu ihrem Recht kommen, oder ob die Abhilfeklage lediglich ein zahnloser Papiertiger bleibt, wird erst die Zeit zeigen.