Zum 1. Juli 2023 sind neue Regelungen zur „grenzüberschreitenden Telearbeit“ in Kraft getreten. Bislang war es – abgesehen von Ausnahmeregelungen während der Coronapandemie - so, dass die Sozialversicherung des Wohnsitzstaates anzuwenden war, wenn der Beschäftigte dort mehr als 25 % im Homeoffice arbeitet. Durch das neue Rahmenübereinkommen zwischen Deutschland und mehreren anderen EU und EFTA-Staaten wurde diese Grenze auf bis zu 49,99 % erhöht.
Dieses Rahmenübereinkommen gilt zunächst für fünf Jahre und verlängert sich dann automatisch um weitere fünf Jahre.
Der Begriff der „grenzüberschreitenden Telearbeit“ ist nicht gleichzusetzten mit der deutschen Definition in der Arbeitsstättenverordnung („ArbStättV“). Nach § 2 Abs. 7 ArbStättV sind Telearbeitsplätze vom Arbeitgeber fest eingerichtete Bildschirmarbeitsplätze im Privatbereich des Beschäftigten.
Im Rahmenübereinkommen ist die „grenzüberschreitender Telearbeit“ als Tätigkeit definiert, die ortsunabhängig erbracht werden kann und in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübt wird als dem, wo der Sitz des Arbeitgebers liegt, und sich auf Informationstechnologie stützt, um mit der Arbeitsumgebung des Arbeitgebers oder des Unternehmens in Verbindung zu bleiben, um die vom Arbeitgeber übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Die europäische Definition ist folglich deutlich weiter gefasst als die deutsche Definition und entspricht unserem Verständnis von mobiler Arbeit (vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG).
Darüber hinaus ergibt sich aus der Begründung des Rahmenübereinkommen, dass keine durchgängige IT-Verbindung erforderlich ist. Vielmehr sollen die Beschäftigten auch ihre Aufgaben herunterladen und offline erledigen können.
Grundsätzlich bestimmt die VO (EG) 883/2004, dass die Sozialversicherungsvorschriften des Wohnmitgliedstaats des Beschäftigten gelten, wenn er dort einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit ausübt. Aufgrund dieser Regelung konnten Beschäftigte bisher nur bis zu ca. 25 % ihrer Arbeitsleistung in Form von Telearbeit bzw. mobiler Arbeit in ihrem Wohnsitzstaat ausüben.
Nach Art. 16 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 kann allerdings ein Antrag auf eine Ausnahmevereinbarung gestellt werden. Dabei handelt es sich um eine Ermessenentscheidung der hierfür zuständigen Stellen beider beteiligten Staaten, sodass kein Staat allein darüber entscheiden darf. Durch das Rahmenübereinkommen soll eine vereinfachte Ausnahmevereinbarung nach Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 ermöglicht werden: Die Unterzeichnerstaaten haben sich im Rahmen des Übereinkommens darauf geeinigt, auf eine Ausübung ihres Ermessens zu verzichten und die beantragte Ausnahmevereinbarung in jedem Fall zu genehmigen, sofern nachfolgende Voraussetzungen erfüllt sind:
(1) Der Sitzstaat des Arbeitgebers und der Wohnsitzstaat müssen auseinanderfallen. Der Wohnsitzstaat ist immer der Staat, in dem der Beschäftigte gewöhnlich wohnt und in dem sich der gewöhnliche Mittelpunkt seiner Interessen befindet (vgl. Art. 1 j) VO (EG) Nr. 883/2004). Zu berücksichtigen sind u.a. die Familiensituation und die Dauer des Wohnens. Nach der europäischen Definition ist immer nur ein Wohnsitz möglich.
(2) Der Wohnsitzstaat und der Sitzstaat des Arbeitgebers müssen das Rahmenübereinkommen unterzeichnet haben. Folgende Staaten haben das Übereinkommen unterzeichnet: Österreich, Belgien, Kroatien, Tschechien, Finnland, Frankreich, Deutschland, Liechtenstein, Luxemburg, Malta, Norwegen, Polen, Portugal, Spanien, Schweden, Schweiz, Niederlande und Slowakei. Das Übereinkommen gilt somit für alle deutschen Nachbarstaaten außer Dänemark. Eine Unterzeichnung ist aber für alle EU/EWR-Staaten weiterhin möglich. Die Regelungen des Rahmenübereinkommens gelten im Falle einer nachträglichen Unterzeichnung ab dem darauffolgenden Monat.
(3) Der Beschäftigte muss seine Arbeitsleistung im Wohnsitzstaat in Form von Telearbeit bzw. mobiler Arbeit unter Einsatz von Informationstechnologie erbringen.
(4) Es darf im Wohnsitzstaat nicht gewöhnlich eine andere Tätigkeit als grenzüberschreitende Telearbeit ausgeübt werden.
(5) Der Beschäftigte darf seine Tätigkeit nicht gewöhnlich außerhalb des Wohnstaats bzw. des Staates, in dem der Arbeitgeber ansässig ist (z.B. in einer Niederlassung in einem anderen Staat), ausüben.
1. Antrag
Die neuen Regelungen des Rahmenübereinkommens setzen immer einen entsprechenden Antrag voraus. Sofern ein Beschäftigter bis zu 49,99 % in seinen Wohnsitzstaat arbeiten möchte und trotzdem weiterhin im Staat, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat, sozialversichert bleiben möchte, muss er dies beantragen. Ohne einen Antrag, muss er sich in seinem Wohnsitzstaat sozialversichern lassen.
2. Zuständige Behörde
Der Antrag für eine Ausnahmevereinbarung muss in dem Staat gestellt werden, dessen Sozialversicherungsrecht Anwendung finden soll. Die Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung – Ausland („DVKA“) ist zuständig, wenn das deutsche Sozialversicherungsrecht weitergelten soll. Personen, die in Deutschland wohnen und hier Telearbeit bzw. mobile Arbeit für ihren im Ausland ansässigen Arbeitgeber ausüben, müssen einen entsprechenden Antrag beim zuständigen Träger des dortigen Staates stellen, sofern sie dem dortigen Sozialversicherungsrecht unterliegen möchten.
3. Antragsfrist
Ein Antrag für eine Ausnahmevereinbarung kann seit dem 1. Juli 2023 gestellt werden. Er gilt rückwirkend ab dem 1. Juli 2023, wenn er bis zum 30. Juni 2024 gestellt wird und in diesem Zusammenhang durchgängig in Deutschland Sozialversicherungsbeiträge entrichtet wurden. Nach dem 1. Juli 2024 kann ein Antrag nur noch rückwirkend für drei Monate gestellt werden.
4. Voraussetzungen für eine Ausnahmevereinbarung
Eine Ausnahmevereinbarung wird nur erteilt, wenn die Vereinbarung im Interesse des Beschäftigten liegt, kein dritter Staat involviert ist und die Telearbeit bzw. mobile Arbeit im Wohnsitzstaat zwischen 25 % und weniger als 50 % der gesamten Beschäftigung ausmacht.
Bei der Berechnung ist eine vorausschauende Betrachtung maßgeblich. Erforderlich ist, dass damit zu rechnen ist, dass im Laufe der kommenden zwölf Kalendermonate Arbeitsperioden in zwei EU-Mitgliedstaaten mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufeinander folgen werden. Eine blockweise Arbeitsverteilung (z.B. fünf Monate am Stück im Wohnstaat und sieben Monate am Stück im Büro des Arbeitgebers) ist zulässig, sofern auch im Folgejahr diese in Blöcken verteilte Arbeit in beiden Staaten vorkommen wird.
Nach der DVKA sind gelegentliche Dienstreisen in Drittstaaten weiterhin möglich und haben keine Auswirkung auf die Anwendung des Rahmenübereinkommens. Es ist allerdings nicht näher erläutert, wie viele Dienstreisen möglich sind, um weiterhin als „gelegentlich“ zu gelten.
5. A1 Bescheinigung
Sofern alle Voraussetzungen vorliegen, stellt die DVKA eine A1 Bescheinigung aus, die einen verbindlichen Nachweis über das anwendbare Sozialversicherungsrecht beinhaltet. Die A1 Bescheinigung kann für maximal drei Jahre geschlossen werden. Eine Verlängerung für weitere drei Jahre ist durch einen erneuten Antrag möglich.
Insgesamt ermöglicht das Rahmenübereinkommen Arbeitgebern und Beschäftigten mehr Flexibilität im Umgang mit mobiler Arbeit im Ausland. Beschäftigte können bis zu 105 Tage im Wohnsitzstaat arbeiten und trotzdem in dem Staat, in dem der Arbeitgeber ansässig ist, sozialversichert sein. Dadurch sind sie freier bei der Wahl ihres Wohnsitzes. Zu beachten ist allerdings, dass das Rahmenübereinkommen nur sozialversicherungsrechtliche Belange regelt. Für das Steuerrecht gelten weiterhin die Grenzen der Doppelbesteuerungsabkommen. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die Tätigkeit im Homeoffice eine Betriebsstätte im Ausland begründet. Dadurch kann es zu einer beschränkten Steuerpflicht des Unternehmens nach ausländischem Recht kommen. Es bleibt daher abzuwarten, ob im Steuerrecht neue Regelungen folgen.