Das Bundesarbeitsgericht (BAG) befasste sich jüngst erneut mit den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast im Fall einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung. Der Arbeitnehmer trägt danach zwar grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen, unter denen ein Arbeitsverhältnis gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) kraft Gesetzes begründet wird.
Nach dem Urteil vom 25. Juli 2023 greift zugunsten des Arbeitnehmers aber eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast, wenn er die hierfür erforderlichen Tatsachen nicht vortragen kann, weil er außerhalb des für seinen Anspruch erheblichen Geschehensablaufs steht.
BAG, Urt. vom 25. Juli 2023 – 9 AZR 278/22
Gegenstand des Rechtsstreits war die Frage, ob zwischen den Parteien, infolge verdeckter Arbeitnehmerüberlassung, ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist.
Seit Januar 2012 war der Kläger als Systemingenieur bei dem Unternehmen „E-GmbH“ (E-GmbH) tätig. Eingesetzt wurde der Kläger bei der Beklagten, einem Unternehmen der Automobilindustrie. Dort übernahm der Kläger, als Teil eines zu einer Abteilung zugeordneten Teams, die Betreuung von Steuergeräten für produzierte Fahrzeuge. Das Team setzte sich dabei aus Mitarbeitern der Beklagten und Arbeitnehmern von Fremdfirmen, wie dem grundsätzlich bei der E-GmbH angestellten Kläger, zusammen.
Der Kläger machte geltend, dass ein Fall der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung vorliege und damit ein Arbeitsverhältnis zwischen Kläger und Beklagten bestehe. Insoweit behauptete der Kläger, dass der Gegenstand des Vertrags zwischen der Beklagten und der E-GmbH eine Arbeitnehmerüberlassung sei. Die konkreten Aufgaben der Arbeitnehmer seien abhängig von den Weisungen der Beklagten gewesen.
Dagegen stellte sich die Beklagte auf den Standpunkt, dass der Kläger als Erfüllungsgehilfe der E-GmbH im Rahmen eines Dienstleistungsvertrags (Rahmenvertrags) beschäftigt worden sei, welcher die zu erbringenden Leistungen beinhalte. Die Beklagte und die E-GmbH hätten die Arbeit innerhalb des besagten Teams bereits zuvor durch entsprechende Zuordnung der Fremdfirmenarbeitnehmer verteilt.
Das BAG hat die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG), wonach zwischen den Parteien durch verdeckte Arbeitnehmerüberlassung nach § 10 Abs. 1 Halbs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1a Halbs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis begründet worden sei, bestätigt. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.
Ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher (der Beklagten) und dem Leiharbeitnehmer (dem Kläger) gilt nach § 10 Abs. 1 Halbs. 1 AÜG als zustande gekommen, wenn der Arbeitsvertrag zwischen dem Verleiher (E-GmbH) und dem Leiharbeitnehmer unwirksam ist. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1a Halbs. 1 AÜG ist dies der Fall, wenn entgegen § 1 Abs. 1 Satz 5 und 6 AÜG die Arbeitnehmerüberlassung nicht ausdrücklich als solche bezeichnet und die Person des Leiharbeitnehmers nicht konkretisiert worden ist.
Eine Arbeitnehmerüberlassung liegt nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG vor, wenn ein Arbeitnehmer in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert ist und seinen Weisungen unterliegt. Insoweit zeichnet sich die Arbeitnehmerüberlassung i.S.d. AÜG durch eine spezielle Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Verleiher und dem Entleiher (durch einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag), zwischen dem Verleiher und dem Arbeitnehmer (durch einen Leiharbeitsvertrag) und durch eine fehlende arbeitsvertragliche Rechtsbeziehung zwischen dem Arbeitnehmer und dem Entleiher aus. Der Verleiher hat aufgrund des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags die Pflicht die Betriebszwecke des Entleihers zu fördern, indem er Arbeitnehmer auswählt und dem Entleiher bereitstellt.
Dahingegen wird ein Arbeitnehmer als Erfüllungsgehilfe im Rahmen eines Werk- oder Dienstvertrags eingesetzt, wenn der Unternehmer als Arbeitgeber des Arbeitnehmers für ein Drittunternehmen tätig wird. Dabei ist der Unternehmer für die Herstellung des versprochenen Werkes bzw. für die Leistung der versprochenen Dienste verantwortlich und entscheidet über die notwendigen organisatorischen Handlungen. Der Arbeitnehmer unterliegt dann als Erfüllungsgehilfe zwar den Weisungen des Unternehmers, jedoch sind auch Anweisungen seitens des Drittunternehmers möglich. Das AÜG erfasst diese Werk- oder Dienstverträge nicht.
Für die Abgrenzung, ob eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung vorliegt oder aber die Tätigkeit für einen Drittunternehmer im Rahmen eines Werk- oder Dienstvertrags erfolgt, sind die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien, aber auch die tatsächliche Durchführung des Vertrags zu berücksichtigen. Widersprechen sich der Vertrag und seine praktische Durchführung, ist nach § 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG letzteres maßgeblich.
Grundsätzlich trifft den Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die das Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG begründen. Nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast ist jedoch eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast möglich. Dies ist der Fall, wenn der darlegungspflichtige Arbeitnehmer außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs steht und damit, trotz Ausschöpfung aller Möglichkeiten, nicht in der Lage ist den Sachverhalt genauer zu ermitteln, um die erforderlichen Tatsachen vortragen zu können. Sofern dem Gegner die maßgeblichen Umstände bekannt und auch nähere Angaben zumutbar sind, muss dieser die behaupteten Tatsachen, unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen, substantiiert – und nicht nur einfach – Bestreiten.
Vorliegend war der Kläger, mangels Kenntnis des Inhalts der vertraglichen Vereinbarungen zwischen der E-GmbH und der Beklagten, zu keinem weiteren Tatsachenvortrag imstande. Deshalb hätte die Beklagte, nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast, den konkreten Inhalt der Vereinbarungen darlegen müssen. Dem kam die Beklagte, trotz der Erteilung entsprechender Hinweise und Auflagen durch einen Beschluss des LAG, nicht nach.
Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass entsprechend § 1 Abs. 1 Satz 5 und 6 AÜG die Arbeitnehmerüberlassung ausdrücklich als solche bezeichnet und die Person des Klägers konkretisiert worden ist. In der Folge ist der Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und der E-GmbH nach § 9 Abs. 1 Nr. 1a Halbs. 1 AÜG unwirksam, sodass gem. § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen der Beklagten und dem Kläger zustande gekommen ist.
Die Grundsätze der sekundären Darlegungslast erleichtern einem Arbeitnehmer den Vortrag der erforderlichen Tatsachen für das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG. Dies bestätigt das BAG in Fortführung seiner Rechtsprechung (vgl. BAG Urt. v. 5.7.2022 – 9 AZR 323/21, Rn. 21) mit diesem Urteil erneut.
Folglich sollten auch künftig, wenn einem Drittunternehmen Arbeitnehmer zur Verfügung gestellt bzw. für die Durchführung von Werk- oder Dienstverträgen bei Drittunternehmen eingesetzt werden, die maßgeblichen Rechtsbeziehungen durch entsprechende Verträge präzise geregelt und auf die Einhaltung dieser bei der tatsächlichen Durchführung der Verträge geachtet werden. Arbeitgeber sollten insbesondere versuchen, jegliche Indizien zu vermeiden, die für von Dritten im Rahmen eines Werk- oder Dienstvertrages eingesetzte Arbeitnehmer den Schluss zulassen, dass sie weisungsgebunden und in die Arbeitsorganisation des Drittunternehmens eingegliedert sind.