Nach ihrem Kirchenaustritt wurde eine Arbeitnehmerin von ihrem katholischen Arbeitgeber gekündigt. Der EuGH wird nun klären müssen, ob dies mit dem Unionsrecht vereinbar ist, denn das BAG legte ihm diese Grundsatzfrage vor.
BAG, Beschl. v. 01.02.2024 - 2 AZR 196/22 (A)
Der beklagte Verein ist ein Frauen- und Fachverband der katholischen Kirche in Deutschland, der sich der Hilfe für Kinder, Jugendliche, Frauen und ihren Familien in besonderen Lebenslagen widmet. Zu seinen Aufgaben gehört die Beratung von Schwangeren. Die Klägerin ist bei dem Beklagten seit dem Jahr 2006 in der Schwangerschaftsberatung beschäftigt. Von Juni 2013 bis zum 31.05.2019 befand sie sich in Elternzeit. Die Klägerin erklärte im Oktober 2013 ihren Austritt aus der katholischen Kirche, wovon der Beklagte im Dezember 2013 erfuhr. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis nach Beendigung der Elternzeit am 01.06.2019 außerordentlich ohne Einhaltung einer Frist, hilfsweise ordentlich zum 31.12.2019. Durch ihren Kirchenaustritt habe die Arbeitnehmerin schwerwiegend gegen ihre Loyalitätsobliegenheiten verstoßen. Zuvor hatte der Beklagte erfolglos versucht, die Klägerin zum Wiedereintritt in die katholische Kirche zu bewegen. Zum Zeitpunkt der Kündigung beschäftigte der Beklagte in der Schwangerschaftsberatung vier Arbeitnehmerinnen, die der katholischen Kirche und zwei Arbeitnehmerinnen, die der evangelischen Kirche angehörten. Die Klägerin legte anschließend Kündigungsschutzklage ein.
Zunächst mussten sich das Arbeitsgericht Wiesbaden (Urt. v. 10.06.2020 – 2 Ca 288/19) und das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen (Urt. v. 01.03.2022 – 8 Sa 1092/20) mit der Frage beschäftigen, ob die Kündigung gegenüber der Klägerin wirksam ist. Insbesondere das LAG Hessen stellte heraus, dass der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund bereits § 626 Abs. 2 BGB entgegen stehe. Danach kann eine solche nur innerhalb von 2 Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Vom Kirchenaustritt erhielt der Beklagte allerdings schon im Dezember 2013 Kenntnis. Weiter führt das LAG Hessen aus, dass ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB, der geeignet ist, das Arbeitsverhältnis der Klägerin außerordentlich zu beenden, nicht vorliege. Mit der unmittelbar benachteiligenden Anknüpfung an das Diskriminierungsmerkmal „Religion“ (§§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 2, 3 Abs. 1 AGG) verstoße die Kündigung vielmehr gegen § 7 Abs. 1 AGG. Die ungleiche Behandlung sei auch nicht gemäß § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt.
Das BAG, das über die Revision des Frauenverbandes zu entscheiden hat, setzte das Verfahren aus und bat im Februar 2024 um Vorabklärung durch den EuGH. Die erste an den EuGH adressierte Vorlagefrage lautet:
„Ist es mit Unionsrecht, insbesondere der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG) im Licht von Art. 10 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta), vereinbar,
Die konkrete Ungleichbehandlung bezieht sich demnach auf Beschäftigte, die niemals Mitglied der katholischen Kirche waren und denen daher nicht aufgrund eines Austritts aus dieser eine Kündigung droht.
Eine Entscheidung in solch einer Sache wird schon seit geraumer Zeit erwartet. Bereits Ende 2023 stand nach Vorlage des BAG an den EuGH ein vergleichbarer Kündigungsrechtsstreit zwischen einer Hebamme und einer Caritasklinik zur Entscheidung. Der kirchliche Arbeitgeber wollte wohl ein Grundsatzurteil vermeiden. Die Klinik erkannte die Ansprüche der gekündigten Hebamme voll an und stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst worden ist (BAG, Urt. v. 14.12.2023 – 2 AZR 130/21). Die obergerichtliche Klärung blieb damit aus.
Nicht um einen Kirchenaustritt, sondern um eine Wiederheirat ging es im Fall eines gekündigten Chefarztes. In diesem Zusammenhang wurde geprüft, ob die Religion im Hinblick auf die Art der beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung ist. Das war sie in dem Fall jedoch nicht. Das BAG urteilte, dass die Kündigung diskriminierend und unwirksam war (BAG, Urt. v. 20.02.2019 – 2 AZR 746/14).
Nachdem der kirchliche Arbeitgeber die Ansprüche einer Klägerin schon einmal vollständig anerkannte, scheint es so, als wolle der Beklagte nun eine Entscheidung des BAG herbeiführen, um endlich Klarheit und Rechtssicherheit in solchen Fällen zu schaffen.
Es bleibt daher erstmal abzuwarten, wie der EuGH die Vorlage beantworten wird.