Das Vergaberecht steht vor einer umfassenden Transformation, die das Thema Nachhaltigkeit stärker in den Mittelpunkt rückt. Der Referentenentwurf des Vergaberechtstransformationsgesetzes (VergRTransfG) sieht zahlreiche Änderungen vor, die die öffentliche Beschaffung effizienter, flexibler und nachhaltiger gestalten sollen. Ein zentraler Bestandteil dieser Reform ist der neue § 120a des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), der die Berücksichtigung sozialer und umweltbezogener Kriterien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge festschreibt.
Der Referentenentwurf zeigt deutlich, dass Nachhaltigkeit nicht mehr nur ein „Kann“, sondern zunehmend ein „Soll“ und in bestimmten Bereichen ein „Muss“ ist. Dies wird die öffentliche Vergabepraxis maßgeblich verändern und Unternehmen vor neue Herausforderungen, aber auch große Chancen stellen.
Die Anpassung des Vergaberechts zielt darauf ab, den steigenden Anforderungen an die öffentliche Beschaffung gerecht zu werden, insbesondere im Hinblick auf die sozial-ökologische Transformation und den Klimawandel. Die Bundesregierung hat erkannt, dass der öffentliche Einkauf ein starker Hebel für die Förderung nachhaltiger Märkte und Lösungen sein kann, was durch die Einführung verbindlicher Nachhaltigkeitskriterien nun strukturell verankert wird.
Der neue § 120a GWB folgt einem dreistufigen Ansatz zur Berücksichtigung sozialer und umweltbezogener Kriterien:
Öffentliche Auftraggeber sollen in der Leistungsbeschreibung oder auf anderen Stufen des Vergabeverfahrens mindestens ein soziales oder ein umweltbezogenes Kriterium berücksichtigen. Diese Soll-Vorgabe ist flexibel, um den unterschiedlichen Anforderungen verschiedener Beschaffungsgegenstände gerecht zu werden. Dies bedeutet, dass die Kriterien in den meisten Fällen berücksichtigt werden müssen, wobei jedoch Spielraum für Ausnahmen besteht, falls diese im Einzelfall nicht verhältnismäßig sind.
Bei bestimmten, für eine nachhaltige Beschaffung besonders geeigneten Waren, Bau- oder Dienstleistungen ist die Berücksichtigung mindestens eines umweltbezogenen oder sozialen Kriteriums zwingend. Hier kommt die "Muss"-Formulierung ins Spiel, die keine Abweichungen zulässt. Diese Regelung soll sicherstellen, dass gerade in Bereichen mit hoher Relevanz für die Nachhaltigkeit klare Vorgaben gelten.
Zusätzlich wird eine Negativliste eingeführt, die bestimmte Beschaffungsgegenstände definiert, die aus Nachhaltigkeitsgründen nicht mehr beschafft werden dürfen. Diese Liste soll verhindern, dass Produkte oder Dienstleistungen erworben werden, die erhebliche soziale oder umweltbezogene Nachteile mit sich bringen.
Nach der geplanten Änderung in § 28 Absatz 2 VgV soll sich die Markterkundung künftig stärker auf umweltbezogene, soziale und innovative Aspekte der Nachhaltigkeit fokussieren. Der neue Satz lautet: „Die Markterkundung soll umweltbezogene, soziale und innovative Aspekte der Nachhaltigkeit umfassen und vornehmlich digital durchgeführt werden.“
Eine weitere wichtige Änderung betrifft die Dokumentationspflicht im Rahmen des Vergabeverfahrens. Nach § 8 Abs. 2 Satz 2 Nr. 12 VgV soll künftig folgende Nummer 13 eingefügt werden: „13. gegebenenfalls die Gründe für die Nichtberücksichtigung eines sozialen oder eines umweltbezogenen Kriteriums bei der Ausgestaltung des Vergabeverfahrens.“ Mit dieser Ergänzung wird klargestellt, dass öffentliche Auftraggeber ihre Entscheidungen zur Nichtberücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien im Vergabeverfahren begründen müssen. Dies soll sicherstellen, dass die Ablehnung sozialer oder umweltbezogener Kriterien nicht willkürlich erfolgt, sondern nachvollziehbar und dokumentiert ist. Die Begründungspflicht trägt zur Transparenz und Verantwortlichkeit bei. Sie zwingt die Auftraggeber, sich explizit mit der Frage auseinanderzusetzen, warum in bestimmten Fällen Nachhaltigkeitsaspekte nicht berücksichtigt wurden. Dies wird dazu führen, dass Nachhaltigkeitskriterien nicht leichtfertig ignoriert werden, sondern in den meisten Fällen tatsächlich zur Anwendung kommen, es sei denn, es bestehen berechtigte Gründe, die ihre Berücksichtigung ausschließen.
Mit dem neuen § 120a GWB und den weiteren Regelungen setzt die Bundesregierung ein klares Zeichen für eine zukunftsfähige und verantwortungsvolle öffentliche Beschaffung. Durch die Berücksichtigung sozialer und umweltbezogener Kriterien wird nicht nur der Klimaschutz gestärkt, sondern auch die soziale Gerechtigkeit in der globalen Wertschöpfungskette gefördert. Diese Reform stellt einen entscheidenden Schritt dar, um die öffentliche Beschaffung in Deutschland nachhaltig zu gestalten und gleichzeitig einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten.
Der neue § 120a GWB bietet dabei eine Balance zwischen dem Leistungsbestimmungsrecht öffentlicher Auftraggeber auf der einen Seite und notwendiger Verbindlichkeit im Lichte sozial-ökologischer Interessen auf der anderen Seite. Die Soll-Vorgabe stellt sicher, dass nachhaltige Kriterien grundsätzlich berücksichtigt werden, gibt aber genügend Spielraum für individuelle Anpassungen. Andererseits wird bei besonders relevanten Beschaffungen durch die Muss-Vorgabe eine klare Verbindlichkeit geschaffen.
Für Unternehmen, die sich auf sozial und umweltverträgliche Produkte und Dienstleistungen spezialisieren, bieten die neuen Regelungen im Vergaberecht eine bedeutende Chance. Indem öffentliche Auftraggeber zukünftig stärker auf Nachhaltigkeit achten, wird der Markt für grüne und soziale Innovationen gefördert. Besonders kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie Start-ups, die oft flexibel auf neue Anforderungen reagieren können, werden von dieser Entwicklung profitieren.
Öffentliche Auftraggeber und Bieter sollten bereits jetzt die nötigen Weichen stellen. Denn feststeht: Nachhaltigkeit im Vergaberecht wird uns auch in Zukunft beschäftigen und dabei eine immer wichtigere Bedeutung einnehmen.