Neue gesetzliche Anforderungen zwingen Unternehmen zur transparenten Darstellung umweltbezogener Produkteigenschaften. Verstöße führen nicht nur zu Imageschäden, sondern auch zu zivilrechtlichen Haftungsrisiken. Mit der Einführung der Abhilfeklage können Verbraucherverbände nun kollektiv gegen solche Verstöße vorgehen, was Unternehmen vor neue Herausforderungen stellt. Ein Blick auf aktuelle Entscheidungen und zukünftige Anwendungsbereiche verdeutlicht die wachsende Bedeutung der Abhilfeklage im ESG-Bereich.
In der Welt der Verbraucherwerbung stehen Unternehmen zunehmend unter Druck, umweltfreundliche Eigenschaften von Produkten transparent und korrekt zu kommunizieren. Auch die Gerichte werden vermehrt mit dieser Thematik befasst. So haben wir bereits im Newsletter September 2023 über die neuen rechtlichen Anforderungen an Umweltwerbung berichtet und auf das Urteil des OLG Düsseldorf (Az. 20 U 72/22) hingewiesen. Das OLG Düsseldorf definierte den Begriff „klimaneutral“ im Zusammenhang mit einer Marmeladenwerbung und stellte klar, dass Verbraucher eine ausgeglichene CO2-Bilanz des Unternehmens erwarten dürfen.
Weitere beachtenswerte Entscheidungen in diesem Kontext sind ein Urteil des EuGH vom 5.10.2023
(Az. C-761/22) zu Energieeffizienzklassen in Werbung sowie ein Urteil des LG Stuttgart vom 10.02.2022 (Az. 36 92/21 KfH) zu irreführender Werbung eines Investitionsprodukts für nachhalte Projekte im Bereich Wind- und Solarenergie. Der EuGH entschied, dass Werbung für Produkte wie Backöfen die Energieeffizienzklasse enthalten muss, damit Verbraucher leicht erkennen können, wie energieeffizient das Produkt ist. Das LG Stuttgart bejahte die Unterlassungsansprüche eines Verbraucherinstituts gegen ein Finanzinstitut, da die Angaben zur Täuschung geeignet seien, wenn es sich dabei tatsächlich um nicht verbindliche Zielwerte handelt.
Mit dem Vorwurf des Greenwashings sind für Unternehmen neben einem Imageschaden auch zivilrechtliche Haftungsrisiken verbunden. Denkbare Anknüpfungspunkte zivilrechtlicher Ansprüche sind §§ 434 ff., 823, 826, 831 BGB, die Prospekthaftung und Ansprüche nach dem UWG. Diese Ansprüche machen Verbraucher vermehrt auch gerichtlich gegen die Unternehmen geltend. Deutschland hat in den vergangenen Jahren bereits vermehrt mit zivilrechtlichen Massenklagen für Aufsehen gesorgt. In solchen Massenverfahren, wie sie insbesondere im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal bekannt wurden, nehmen eine Vielzahl an (vermeintlich) geschädigten Verbrauchern das Unternehmen in Anspruch. Die Anspruchsgeltendmachung erfolgt jeweils durch den individuellen Anspruchssteller, so dass sich das Unternehmen einer Vielzahl von Einzelklagen ausgesetzt sieht.
Mit der Einführung der Abhilfeklage am 13.10.2023 hat sich das Spielfeld betroffener Verbraucher nun noch einmal erweitert. Zum ersten Mal im deutschen Prozessrecht können kollektiv Leistungsansprüche von Verbrauchern durch qualifizierte Verbraucherverbände gegen ein Unternehmen geltend gemacht werden.
Die qualifizierten Verbraucherverbände müssen lediglich glaubhaft machen, dass die Abhilfeklage Ansprüche von mindestens 50 Verbrauchern oder sog. kleinen Unternehmen (mit weniger als 10 Beschäftigten und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanz von weniger als 2 Mio. EUR) betrifft. Die Abhilfeklage ist in allen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmen zulässig, sofern die Ansprüche in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht so ähnlich sind, dass dem Prozessgericht die Entscheidung über eine Vielzahl von Ansprüchen in demselben Verfahren möglich ist. Im Falle einer Verurteilung droht dem beklagten Unternehmen die Zahlung eines kollektiven Gesamtbetrags, der mittels eines Sachwalters an die sich der Abhilfeklage angeschlossenen Verbraucher und kleinen Unternehmen ausgekehrt wird. Abhängig von Anzahl und Höhe der der Abhilfeklage zugrunde liegenden Einzelansprüche ergibt sich für ein Unternehmen schnell ein Haftungsrisiko im (mehrstelligen) Millionenbereich.
Gegenstand solcher kollektiven Abhilfeklagen können auch ESG-Themen sein. Indem Unternehmen mit vermeintlich „grünen“ Referenzen werben, um ihre Rentabilität, ihren Ruf und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, setzen sie sich potentiell dem Risiko von Greenwashing-Vorwürfen auf allen Ebenen des Unternehmens aus. Neben falschen oder fehlenden Angaben können auch irreführende Werbung für Produkte und Investitionen eine Abhilfeklage auslösen:
Für nachhaltige Anlagen hat der europäische Gesetzgeber umfangreiche Transparenz- und Offenlegungspflichten etabliert. So sieht die OffenlegungsVO umfassende Offenlegungspflichten für Finanzprodukte vor, die mit ökologischen oder sozialen Merkmalen beworben werden oder mit denen eine nachhaltige Investition angestrebt wird.
Entsprechen die vorgeschriebenen Angaben in Prospekten nicht den Tatsachen, könnte das verantwortliche Finanzinstitut für unrichtige Prospektangaben in Anspruch genommen werden. Die für die Abhilfeklage erforderliche Gleichartigkeit könnte hier gerade in der an eine Vielzahl an Verbraucher gerichteten unrichtigen Prospektangaben zu sozialen und ökologischen Faktoren eines Finanzprodukts vorliegen. Prospekthaftungsklagen könnten damit eine bedeutende Rolle in der Zukunft spielen und gesteigerte Haftungsrisiken für Finanzinstitute zur Folge haben.
Im Zuge der wachsenden Bedeutung nachhaltiger Geldanlagen werden auch die Werbemaßnahmen für nachhaltige Geldanlagen vielfältiger und intensiver. Eng damit verbunden ist die Gefahr einer falschen Darstellung der Nachhaltigkeitsperformance der Geldanlagen.
Daraus könnten wettbewerbsrechtliche Klagen von Verbraucher- und Umweltverbänden resultieren, wenn Finanzinstitute die anhaltende Nachfrage nach grünen Finanzprodukten mit irreführenden nachhaltigkeitsbezogenen Aussagen bewerben. Darüber hinaus sind auch Greenwashing bezogene Schadensersatzansprüche von geschädigten Verbrauchern nach dem UWG denkbar, die im Wege der Abhilfeklage durchgesetzt werden könnten, sofern die Voraussetzungen der Gleichartigkeit der Ansprüche erfüllt sind.
Mit dem zunehmenden Engagement und der Einbindung der Verbraucher für den ökologischen Wandel steigt auch die Anzahl der „grünen“ Produktbewerbungen.
Mit dem Dschungel aus Umweltlabels soll allerdings bald Schluss sein. Mit Einführung der „Empowering Consumers Directive“ dürfen nur noch solche Umweltlabels verwendet werden, die auf einem transparenten, lauteren und diskriminierungsfreien Zertifizierungssystem beruhen, oder von einer staatlichen Stelle festgesetzt wurden. Umweltschonende Produktmerkmale dürfen nur noch konkret benannt werden. Allgemeine, nicht belastbare Aussagen wie „natürlich“, „klimaneutral“ oder „öko“ sollen der Vergangenheit angehören.
Auch wird im Anhang der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr die schwarze Liste verbotener Geschäftspraktiken dahingehend ergänzt, dass den Verbrauchern Produkteigenschaften zur gezielten Beschränkung der Lebensdauer einer Ware offengelegt werden müssen.
Verstöße werden die Verbraucher in Deutschland dann unter anderem im Wege der neuen Abhilfeklage geltend machen können.
Der weitreichende Anwendungsbereich der Abhilfeklage ist für Unternehmen vor allem deshalb problematisch, da kollektive Rechtschutzmöglichkeiten regelmäßig mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erfahren. Das kann zu immensen Reputationsschäden von Unternehmen führen, selbst wenn sich die Klage im Ergebnis als unbegründet erweist. Da auch die Verteidigung enorm aufwendig und kostenintensiv ist, wird eine Klageabweisung die Schäden nicht vollständig kompensieren.
Es ist deshalb aus Sicht der Unternehmen sinnvoll, Angriffspunkte zu vermeiden. Dass dies nicht die Realität ist, zeigt eine Studie der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2020. Diese hat ergeben, dass mehr als die Hälfte der Umweltaussagen im Binnenmarkt vage, irreführend oder nicht fundiert sind, wodurch sich eine Vielzahl von Fällen für die Abhilfeklage ergeben kann.
Dieses bereits enorme Potenzial der Abhilfeklage im Rahmen der bestehenden EU-Vorschriften wird noch durch geplante Gesetze erweitert. Denn angesichts des globalen ESG-Trends und des wachsenden Bewusstseins für die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit in allen Sektoren, will der EU-Gesetzgeber alle ESG-Bereiche weitreichend regulieren.
Die folgenden Richtlinien werden im Jahr 2024 erwartet:
Die neuen EU-Gesetze und -Verordnungen werden Unternehmen vor enorme Herausforderungen bei der Umsetzung und Überwachung der neuen gesetzlichen und regulatorischen Anforderungen stellen.
Mit der neuen Abhilfeklage als effektives rechtliches Werkzeug können Verbraucherverbände Unternehmen, die des Greenwashings bezichtigt werden, mit einem hohen Maß an Professionalität und öffentlicher Aufmerksamkeit konfrontieren. Hieraus kann sich schnell erhebliches Potential für Rechtsstreitigkeiten in signifikantem Umfang ergeben.
Materielle Rechtsentwicklungen erhöhen den Druck zusätzlich. So sehen sich Unternehmen zunehmend ESG-Anforderungen ausgesetzt, deren Verletzung Grundlage für zivilrechtliche Ansprüche einer Vielzahl von Personen sein könnte.
Aus Sicht der betroffenen Unternehmen dürfte es darauf ankommen, dass alle im Zusammenhang mit einem Produkt veröffentlichte Informationen zutreffend, in sich schlüssig und widerspruchsfrei sind. Dabei kann es hilfreich sein einen „frischen Blick“ extern einzuholen, um spätere reputationsschädliche Greenwashing-Vorwürfe zu vermeiden.