Fragen im Zusammenhang mit der Bedeutung und Implementierung von ESG-Kriterien sind längst Teil der täglichen arbeitsrechtlichen Beratungspraxis. Viele Unternehmen zeigen hier bereits ein geschärftes Bewusstsein für eine nachhaltige und soziale Unternehmensführung. Nicht selten kommt gleichwohl die Frage auf, was genau sich hinter den einzelnen Bereichen - „Environmental“, „Social“ und „Governance“ - aus arbeitsrechtlicher Sicht verbirgt.
Nachdem wir uns im ersten Aufschlag unserer Beitragsreihe zum ESG und Arbeitsrecht mit dem „E“ auseinandergesetzt haben, steht nun das „S“ im Fokus. Wir möchten nachfolgend einen Überblick über einige der aus arbeitsrechtlicher Sicht besonders relevanten Themen im Zusammenhang mit sozialer Nachhaltigkeit geben.
Im Rahmen der sozialen Nachhaltigkeit und sozialen Verantwortung von Unternehmen spielen Fragen zu Arbeitsstandards, Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz eine zentrale Rolle.
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schreibt für sich selbst die folgenden fünf Grundprinzipien fest, die ihre Ausprägung in einer Reihe von Übereinkommen, den sog. Kernarbeitsnormen, gefunden haben:
Diese Prinzipien sind für alle ILO-Mitgliedstaaten maßgebend. Die dahinterstehenden Erwägungen spiegeln sich überdies auch in einer Vielzahl nationaler sowie europäischer Regelungswerke wider. Wenngleich ein geschärftes Bewusstsein für soziale Nachhaltigkeit deutlich weiter als die Einhaltung von Mindeststandards gereichen sollte, so geben die vorbenannten Kriterien jedenfalls einen Anhaltspunkt darüber, welche Themen in diesem Zusammenhang aus arbeitsrechtlicher Sicht besonders bedeutsam sind.
Das Arbeitsrecht ist geprägt vom Grundsatz der Gleichbehandlung. Nach dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ist es einem Arbeitgeber untersagt, Arbeitnehmer ungleich zu behandeln, wenn es für eben diese ungleiche Behandlung keinen sachlichen Grund gibt. In der arbeitsrechtlichen Beratungspraxis wird dies regelmäßig im Zuge der Gewährung von Sonderzahlungen oder sonstigen Benefits bedeutsam, wenn sich der Arbeitgeber entschließt, diese nur einem bestimmten Kreis von Mitarbeitern gewähren zu wollen. Letztlich kann der damit einhergehende Vorwurf der Ungleichbehandlung aber in den unterschiedlichsten Stadien eines (potentiellen) Arbeitsverhältnisses zu Tage treten, insbesondere auch im Zusammenhang mit Bewerbungsverfahren, internen Beförderungen und Entlassungsentscheidungen.
Nach den Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) sind überdies Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Verstöße gegen die Vorgaben des AGG können für Arbeitgeber Schadensersatz- oder Entschädigungszahlungen zur Folge haben.
Besonderes Augenmerk liegt insoweit insbesondere auch auf der geschlechterübergreifenden Entgeltgleichheit, nicht zuletzt wegen der jüngsten europarechtlichen Entwicklungen.
Frauen und Männern ist bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit das gleiche Entgelt zu zahlen. Was dem Grunde nach so banal klingt, zieht in der Praxis immer noch viele Probleme und Ungewissheiten mit sich – und das, obgleich der Gesetzgeber bereits mit dem am 6. Juli 2017 in Kraft getretenen Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen (Entgelttransparenzgesetz, EntgTranspG) einen Rahmen zur Durchsetzung eben dieses Gebotes vorgegeben wollte. Das EntgTranspG sieht hierfür im Wesentlichen drei Mechanismen vor, namentlich den individuellen Auskunftsanspruch der Arbeitnehmer, das betriebliche Prüfverfahren zur Überprüfung und Herstellung von Entgeltgleichheit sowie die Normierung von Berichtspflichten für Arbeitgeber. Das Auskunftsverlangen können alle Arbeitnehmer in Betrieben mit in der Regel mehr als 200 Beschäftigten bei demselben Arbeitgeber geltend machen. Die Pflicht zur Durchführung des betrieblichen Prüfverfahrens sowie zur Erfüllung von Berichtspflichten gilt – ungeachtet der weiteren Voraussetzungen – „nur“ für Unternehmen mit in der Regel mehr als 500 Beschäftigten.
Mit der am 6. Juni 2023 in Kraft getretenen europäischen Richtlinie zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Entgelttransparenz und Durchsetzungsmechanismen (Entgelttransparenzrichtlinie, EntgTranspRL) werden nun neue Vorgaben geschaffen, die über die jetzigen Vorgaben des Entgelttransparenzgesetztes hinausgehen und einen entsprechenden Umsetzungsbedarf erfordern (u.a. Entgelttransparenz vor Beschäftigung, neue Vorgaben zur Bereitstellung von Informationen und zu Berichtspflichten, Stärkung der Instrumente zur Rechtsdurchsetzung). Der deutsche Gesetzgeber hat bis zum 7. Juni 2026 Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.
Die unter dem Stichwort der sozialen Nachhaltigkeit zu verstehenden Verantwortlichkeiten von Unternehmen beschränken sich aber nicht auf den Kreis der „eigenen“ Beschäftigten, sondern erstrecken sich in weitem Maße auf die gesamte Lieferkette. Besonderes Augenmerk liegt daher auch auf den Arbeitsbedingungen (globaler) Lieferanten und Subunternehmern. Mit dem am 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, LkSG) sollte Unternehmen ein klarer, verhältnismäßiger und zumutbarer gesetzlicher Rahmen gegeben werden, um die ihnen zu Teil werdende Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten in globalen Lieferketten wahrnehmen zu können. Die sich aus dem Gesetz ergebenden Sorgfaltspflichten und Umsetzungsmaßnahmen gelten seit Beginn diesen Jahres bereits für die Unternehmen, die in der Regel mindestens 1000 Arbeitnehmer im Inland beschäftigen.
Unter Berücksichtigung der jüngsten Entwicklungen auf europäischer Ebene ist jedenfalls mit der Umsetzung der neuen EU-Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) auch eine Anpassung des LkSG zu erwarten.
Auch der Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer ist im Rahmen der sozialen Nachhaltigkeit von besonderer Bedeutung. Neben der Einhaltung des zwingenden nationalen Rechts, z. B. des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG), Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG), Entgeltfortzahlungsgesetzes (EntgFG) oder Mindestlohngesetzes (MiLoG), umfasst dies auch und gerade die Sicherstellung der Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften und -normen z. B. des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) und Einführung von Sicherheitsschulungen und Meldesystemen zur Verhütung von Unfällen und Zwischenfällen.
Nachhaltige soziale Planungsstrukturen und personelle Wertschätzung können entscheidend zum Unternehmenserfolg beitragen. Sie können nicht nur die Zufriedenheit und damit auch das Engagement der Arbeitnehmer fördern, sondern auch wirtschaftliche Erfolge sichern. Die Implementierung nachhaltiger Strategien kann daher bewusst zur Positionierung im Markt, zum Ausbau der eigenen Arbeitgebermarke und damit auch zur Abgrenzung gegenüber Wettbewerbern eingesetzt werden.
Auch die hinter der sozialen Nachhaltigkeit stehenden Themenfelder werden – auch und gerade auf Grund der stetigen Entwicklung auf europäischer Ebene – für Unternehmen künftig immer weiter an Bedeutung gewinnen und unter Berücksichtigung rechtlicher Rahmenbedingungen und bestehender Gestaltungsoptionen individuelle Konzepte zur entsprechenden Umsetzung erforderlich machen.