BAG zu Diskriminierung bei Überstundenzuschlägen

Written By

christoph lutz Module
Christoph Lutz

Associate
Deutschland

Als Rechtsanwalt in der Praxisgruppe Internationales Arbeitsrecht in München berate ich sowohl nationale wie internationale Mandanten in sämtlichen Bereichen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts.

Eine in Teilzeit beschäftigte Pflegekraft hatte ihren Arbeitgeber auf diskriminierungsfreie Vergütung der Überstunden verklagt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat nun zugunsten der Arbeitnehmerin entschieden: Überstundenzuschläge müssen auch Teilzeitkräften bereits ab Überschreiten ihrer jeweils vereinbarten Arbeitszeit gewährt werden, um eine Benachteiligung zu verhindern. Was dies für die Praxis bedeutet und warum sich daraus eine Entschädigungspflicht des Arbeitgebers wegen geschlechtsspezifischer Diskriminierung ergeben kann, erfahren Sie im Folgenden.

(BAG, 05.12.2024 - 8 AZR 370/20)

Streit um Überstundenzuschläge und Diskriminierung 

Der Beklagte – ein bundesweit tätiger Dialyseanbieter mit über 5.000 Arbeitnehmern – beschäftigte die Arbeitnehmerin in Teilzeit. Ihr Arbeitsumfang entsprach 40 % der regelmäßigen Arbeitszeit einer Vollzeitkraft. Der für die Arbeitnehmerin geltende Manteltarifvertrag regelte, dass ein Überstundenzuschlag oder eine Zeitgutschrift nur dann gewährt werden, wenn der Arbeitsumfang die reguläre Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten überschreitet. Zum Ende des Monats März 2018 wies das Arbeitszeitkonto der Arbeitnehmerin ein Guthaben von über 129 Stunden auf. Diese geleisteten Stunden gingen über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit der Arbeitnehmerin hinaus. Dennoch erhielt sie keinen Überstundenzuschlag, da die Stundenzahl unterhalb der regulären Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigen lag. Die Arbeitnehmerin forderte eine Zeitgutschrift für die geleistete Mehrarbeit.

Die Arbeitnehmerin argumentierte, dass sie aufgrund ihrer Teilzeitbeschäftigung und der Tatsache, dass der Großteil der Teilzeitbeschäftigten bei dem Arbeitgeber Frauen seien, wegen ihres Geschlechts diskriminiert werde. Aufgrund dieser Ungleichbehandlung verlangte die Arbeitnehmerin zusätzlich zu der Zeitgutschrift eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Der Arbeitgeber wies diese Vorwürfe zurück und argumentierte, dass der Manteltarifvertrag keine unzulässige Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten oder eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts enthalte.

BAG legt zentrale Fragen dem Europäischen Gerichtshof vor

Das zunächst befasste Arbeitsgericht urteilte zugunsten des Arbeitgebers und wies die Klage ab. Im Berufungsverfahren sprach das Hessische Landesarbeitsgericht der Arbeitnehmerin die geforderte Zeitgutschrift zu, wies jedoch die Entschädigungsforderung nach dem AGG zurück (LAG Hessen, Urteil vom 19.12.2019 - 5 Sa 436/19). Letzteres begründete es damit, dass die Benachteiligung nur so geringe Auswirkungen habe, dass eine Entschädigung unangemessen wäre.

In der Revisionsinstanz ersuchte der achte Senat des BAG den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Auslegung des Unionsrechts in dieser Sache (BAG, Beschluss vom 28.10.2021 - 8 AZR 370/20 (A) – BAGE 176, 117).

Anspruch auf Überstundenzuschläge für Teilzeitkräfte 

Mit Urteilen vom 29. Juli 2024 (C-184/22 und C-185/22) entschied der EuGH, dass die tarifvertragliche Regelung unionsrechtswidrig ist und Teilzeitbeschäftigte unzulässig benachteiligt. Dem folgte das BAG in seiner Entscheidung und sprach der Arbeitnehmerin die begehrte Zeitgutschrift in voller Höhe zu. So führte es aus, dass eine individuelle Betrachtung anhand des Arbeitszeitanteils vorzunehmen ist. Eine tarifvertragliche Regelung, die Überstundenzuschläge erst gewährt, wenn die regelmäßige Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten überschritten wird, ist unzulässig und benachteiligt Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollzeitbeschäftigten. 

Nach dem BAG verstößt eine solche Regelung gegen das Diskriminierungsverbot für Teilzeitbeschäftigte (§ 4 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG)), sofern die ungleiche Behandlung nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist. Eine solche sieht das BAG im vorliegenden Fall nicht.

Mittelbare Geschlechterdiskriminierung 

Zugleich sah das BAG eine unzulässige mittelbare Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, da in der betrieblichen Gruppe der Teilzeitbeschäftigten deutlich mehr Frauen (84,74%) als Männer vertreten waren. Daher sprach das BAG der Arbeitnehmerin auch eine Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von EUR 250,00 zu. Dabei handelt es sich allerdings nur um einen Bruchteil der geforderten Entschädigung von insgesamt EUR 4.485,06. Das BAG sah damit den durch die mittelbare Geschlechtsbenachteiligung entstandenen immateriellen Schaden als ausgeglichen und den Betrag geeignet, gegenüber dem Arbeitgeber die erforderliche Abschreckungswirkung zu entfalten. 

Ausblick

Nach der Klärung der Rechtsfrage durch den EuGH und dem Urteil des BAG steht nun fest, dass Mehrarbeitszuschläge für Teilzeitbeschäftigte nicht pauschal an die Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten gekoppelt werden dürfen. Bei der Berechnung der Überstundenzuschläge für ihre Teilzeitbeschäftigten müssen Arbeitgeber die gleichen Maßstäbe anlegen wie bei Vollzeitbeschäftigten, d.h. sie müssen ab der ersten Überstunde einen Zuschlag im Verhältnis zu ihrer individuellen Arbeitszeit erhalten, wenn dies auch bei vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten der Fall ist. Wann jedoch im Einzelfall sachliche Gründe vorliegen, die eine unterschiedliche Behandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten rechtfertigen können (§ 4 Abs. 1 TzBfG), ist von Fall zu Fall zu prüfen und wurde mit dem Urteil nicht allgemeingütig geklärt. In jedem Fall sind Arbeitgeber gut beraten, derartige Überstundenregelungen auch auf Ebene von Arbeitsverträgen oder Betriebsvereinbarungen auf Gleichbehandlungsgrundsätze zu prüfen. Sind, wie im vorliegenden Fall, z.B. überwiegend Frauen teilzeitbeschäftigt, drohen zudem Entschädigungsforderungen, die mitunter auch höher als der hier zugesprochene Betrag ausfallen können.

Latest insights

More Insights
featured image

Das AGG und der Rechtsmissbrauch – Update: BAG bestätigt Kurs des LAG Hamm

3 minutes Feb 21 2025

Read More
featured image

Ausländische Arbeitskräfte – Unerlässlich für den deutschen Arbeitsmarkt

5 minutes Feb 21 2025

Read More
featured image

Einsatz als befristete Vertretung trotz Arbeitsunfähigkeit: Was sagt das Bundesarbeitsgericht?

3 minutes Jan 27 2025

Read More