Die Kfz-Rückrufkostenversicherung trägt wesentlich dazu bei, Kostenrisiken bei Feldaktionen für Zulieferer der Automobilindustrie kalkulierbarer zu machen. Das Standardmodell differenziert zwischen Rückrufen zur Gefahrenabwehr, Vorfeldmaßnahmen und Feldmaßnahmen außerhalb der Gefahrenabwehr und definiert unterschiedliche Versicherungsfälle. Dabei unterstützt der Versicherer nicht nur mit einer eingehenden Prüfung der Haftpflichtfrage, sondern leistet bei Bedarf auch Abwehrdeckung. In einer der wenigen Gerichtsentscheidungen zu diesem bedeutsamen Versicherungsprodukt stellte das OLG Bamberg kürzlich einige Dinge klar, ließ aber auch eine interessante Frage offen (Az. 1 U 79/20, Urteil vom 16.12.2021). Die Entscheidung zeigt, wie wichtig es für Zulieferer ist, frühzeitig qualifizierten Rat einzuholen, wenn sie mit einem Rückruf oder sonstigen Feldaktionen konfrontiert sind und die Unterstützung des Versicherers sicherstellen wollen. In diesem Fall scheint, dass sowohl der Versicherungsfall missinterpretiert wurde, als auch die Meldung gegenüber dem Versicherer sehr spät erfolgte. Beides sind Aspekte, die sich leicht hätten vermeiden lassen.
Das deutsche Kfz-Rückrufkostenversicherungsmodell ist für Zulieferer der Automobilindustrie wichtig, nicht nur deshalb, weil die Automobilhersteller diese häufig fordern, sondern auch, weil sie die Risiken eines Rückrufs für den Zulieferer erheblich mildert. Dies hat zwei Gründe: Einerseits folgt das deutsche Kfz-Rückrufkostenversicherungsmodell den allgemeinen Bestimmungen für die Haftpflichtversicherung. Das heißt, der Versicherer schuldet gemäß dem Versicherungsvertrag die Prüfung des Versicherungsfalls und eine Entscheidung, ob der Versicherungsfall verteidigt werden soll oder ob der Versicherer den Versicherungsnehmer von den Ansprüchen Dritter freistellt.
Entscheidet sich der Versicherer, den Versicherungsfall zu verteidigen, so ersetzt er die Kosten der Rechtsverteidigung, d. h. die Kosten für einen Rechtsanwalt, Gutachter und ein Gerichtsverfahren (je nach Police auch die Kosten für ein Schiedsverfahren). Dies betrifft nicht nur die Frage, ob etwa ein „Mangel“ vorlag, sondern auch die häufig schwierige Diskussion über die Höhe des Schadens.
Auch wenn das deutsche Kfz-Rückrufkostenversicherungsmodell keinem „All-Claims“-Prinzip folgt, mildert es die Folgen eines Rückrufs durch eine Freistellung oder eine Beteiligung an einem Vergleich erheblich ab. Dabei unterscheiden sich die Leistungen nach dem Standardmodell des deutschen Kfz-Rückrufkostenversicherungsmodells je nachdem, ob es sich um einen Rückruf zur Gefahrenabwehr, eine sogenannte Vorfeldmaßnahme oder eine Maßnahme außerhalb der Gefahrenabwehr handelt.
Der Versicherungsfall ist eine der zentralen Bestimmungen jedes Versicherungsvertrags, der den einzelnen Fall und dessen Auslegung bestimmt. Nicht nur ist der Versicherungsfall für die Frage entscheidend, ob er in den vertraglich vereinbarten Zeitraum der Versicherungspolice fällt, sondern das Gesetz knüpft auch an vielen Stellen an den Versicherungsfall an. Das bezieht sich auf die Anzeigepflicht (§§ 28, 30, 31 VVG), den Ausschluss bei der Rückwärtsversicherung (§ 2 Abs. 2 VVG), die Abschlagszahlung (§ 14 Abs. 2 VVG), den Zahlungsverzug (§§ 37, 38 VVG) und die Schadensminderungsobliegenheiten (§§ 82, 83 VVG).
Das Kfz-Standardmodell enthält mehrere Definitionen von Versicherungsfällen:
Die Entscheidung des OLG Bamberg ist eine der wenigen obergerichtlichen Entscheidungen zur Kfz-Rückrufkostenversicherung.
Sie befasst sich im Kern mit der wichtigen Auslegungsfrage nach dem „Versicherungsfall“ und dem Verhältnis der verschiedenen „Versicherungsfälle“ zueinander. Das OLG Bamberg entschied vor dem Hintergrund des vergleichsweise klaren Wortlauts der deutschen Standardbedingungen zum Rückruf:
„Die in den einschlägigen Bedingungen verwendeten Definitionen des Begriffs ‚Rückruf‘ stellen auf eine Aufforderung an die Kfz-Halter oder Händler, Vertrags- und sonstige Werkstätten ab, nicht jedoch auf die dem vorangehenden internen Entscheidungsprozesse und die interne Beschlussfassung im Herstellerbetrieb.“
Und zum Verhältnis der verschiedenen Versicherungsfälle:
„Eine innerbetriebliche Weisung gilt als Versicherungsfall der sogenannten ‚Hofaustauschkosten‘ im Rahmen der Kfz-Rückrufkostenversicherung ausschließlich für den Fall, dass der Mangel des Produkts des Zulieferers nach Auslieferung an den Hersteller, aber vor Auslieferung des Endprodukts (Kfz) an den Endkunden bemerkt wird.“
Über die Kernfrage hinaus befasste sich das OLG Bamberg insbesondere mit folgenden Punkten:
a) Das OLG Bamberg stellt klar, dass der Versicherer entsprechend der Einordnung der Kfz-Rückrufkostenversicherung als Haftpflichtversicherung die Prüfung der Haftpflichtfrage, die Abwehrdeckung und die Freistellung zu leisten hat (Rz. 56 des Urteils).
b) Leider mäandert das OLG Bamberg zur Frage, ob es für den Versicherungsfall beim echten Rückruf auf das Recht des Staates ankomme, das den jeweiligen Rückruf anordnet oder ob insoweit auch auf Deckungsseite allein auf deutsches Recht abzustellen sei.