Seit Mai 2025 ist der erste Teil des EU-Designpakets in Kraft, Phase I der Verordnung 2024/2822 vom 23.10.2024 zur Änderung der Unionsgeschmacksmusterverordnung VO (EG) 6/2002. Phase II der Verordnung tritt zum Juli 2026 in Kraft. Die neue Designrichtlinie 2024/2823 müssen die Mitgliedstaaten bis zum 9. Dezember 2027 umsetzen. Diese umfassende Reform ist die bedeutendste Modernisierung des europäischen Geschmacksmusterrechts seit seiner Einführung im Jahr 2002 und soll Vereinfachung und Modernisierung bringen.
Das Geschmacksmuster ist in Europa ein ungeprüftes Recht. Bei der Anmeldung wird lediglich geprüft, ob alle formalen Voraussetzungen erfüllt sind (Vollständigkeit aller Angaben zum Anmelder, Wiedergabe in einer geeigneten Darstellung). Die Schutzvoraussetzungen der Neuheit und der Eigenart werden dagegen nicht geprüft. Das Geschmacksmuster (moderner auch schlicht „Design“ genannt) schützt so die Erscheinungsform eines Erzeugnisses, und das für bis zu 25 Jahre, solange die Verlängerungsgebühren gezahlt werden. Das hat schon seit 2002 die schnelle Erlangung von Schutzrechten ermöglicht, oft innerhalb weniger Tage.
Vereinfachung
Straffung und Vereinheitlichung der Anmeldeverfahren: Unionsgeschmacksmuster müssen jetzt zwingend beim EUIPO digital angemeldet werden (bislang war es noch möglich, auf Papier beim nationalen Amt eine Anmeldung für das Gemeinschaftsgeschmacksmuster einzureichen). Weitere Anforderungen betreffen vor allem nationale Designs, um hier Kongruenz mit dem EU-Verfahren zu gewährleisten.
Simplere Kostenstruktur für Unionsgeschmacksmuster: Die Anmelde- und Veröffentlichungsgebühr wurden zusammengelegt. In der Vergangenheit konnte die Veröffentlichung des Designs durch Nicht-Zahlung der Veröffentlichungsgebühr herausgezögert und so die besondere Gebühr für eine verspätete Veröffentlichung gespart werden. Das ist jetzt nicht mehr möglich. Zusätzlich werden die Gebührensätze insgesamt moderat angehoben, nur Verlängerungen werden deutlich teurer: Für die vierte und letzte Verlängerung (Jahre 21-25) steigt die Gebühr von 180 € auf 700 €!
Vereinfachung von Sammelanmeldungen: Das Erfordernis der „Einheitlichkeit der Klasse“ wird aufgegeben. Zwar ist der Schutz eines Designs nicht auf ein bestimmtes Erzeugnis beschränkt. Trotzdem muss bei der Anmeldung angegeben werden, was für ein Produkt das Design darstellen soll. Bisher mussten in einer Sammelanmeldung alle Designs dieselbe Erzeugnisklasse betreffen. Stimmt das EUIPO mit der Einstufung nicht überein, kann es eine Beanstandung aussprechen. Das führte bisher dazu, dass das betreffende Design nicht Teil der Sammelanmeldung werden konnte.
Das ist nun nicht mehr so. Sammelanmeldungen sind daher nun noch attraktiver, weil sie – trotz Änderungen bei der Kostenstruktur – günstiger sind als einzelne Designs und demgegenüber keinerlei Nachteile haben. Die einzige Beschränkung: Eine Sammelanmeldung kann maximal 50 Designs enthalten.
Modernisierung
Einführung des „Ⓓ“: Das „D im Kreis“ soll eingetragene Designs ähnlich dem © für geschützte urheberrechtlich geschützte Werke oder dem ® für eingetragene Marken kennzeichnen. Wie reizvoll oder sinnvoll das allerdings bei einem ungeprüften Schutzrecht ist, muss sich noch zeigen. Insbesondere wenn ein Design nachträglich für nichtig erklärt wird, stellen sich hier Probleme, weil das Ⓓ dann wohl schnell eine Irreführung begründen könnte, wenn es nicht entfernt wird.
Erweiterter Erzeugnisbegriff: Die Definition des geschützten „Produkts“ wurde erweitert und soll auch unbekannte Technologien einbeziehen. Geschützt werden kann nun auch ein „Gegenstand in nicht physischer Form“ sein. Weitere ausdrücklich genannte Beispiele sind: „grafische Benutzeroberflächen“ und „räumliche Anordnungen von Gegenständen, die eine Gestaltung eines Innen- oder Außenraums bilden sollen“. Das scheint derzeit noch etwas vage, soll aber technologieneutral sein und auch Produkte abdecken, die heute noch unbekannt oder schwer in Worte zu fassen sind.
Erweiterter Designbegriff: Als Geschmacksmuster/Design können nun auch „Bewegungen, Zustandsänderungen oder jede andere Art der Animation“ geschützt werden, was besonders für die „nicht physischen“ Erzeugnisse wie grafische Benutzeroberflächen eine Rolle spielt. Leider ist die Darstellung im Register des EUIPO derzeit noch klassisch auf maximal 7 einzelne Bilder beschränkt, was für Animationen nur die Darstellung in Form eines „Daumenkinos“ ermöglicht. Die Richtlinie schreibt für die nationalen Designs vor, dass die Darstellung „statisch, dynamisch oder animiert“ sein kann und „mit allen geeigneten Mitteln unter Verwendung allgemein verfügbarer Technologien“ erfolgt. In Phase II des Inkrafttretens der Verordnung zum Juli 2026 ist vorgesehen, dass das EUIPO „die Art und Weise der Nummerierung unterschiedlicher Ansichten im Falle einer Darstellung durch statische Ansichten, das Format und die Größe einer elektronischen Datei sowie alle anderen einschlägigen technischen Spezifikationen“ festlegt. An der Umsetzung dessen arbeitet das EUIPO derzeit. Es bleibt zu hoffen, dass im Ergebnis ein Gleichlauf zwischen EU-Ebene und nationalem Designrecht erreicht wird, zumal im Unionsmarkenregister die Darstellung von Videodateien und animierten Bildern möglich ist.
Erweiterter Unterlassungsanspruch: Unzulässig ist nun auch „die Erstellung, das Herunterladen, das Kopieren und die Weitergabe oder Verbreitung von Medien oder Software, die das Geschmacksmuster aufzeichnen, um die Herstellung eines [geschützten] Produkts zu ermöglichen“. Das zielt erkennbar auf den 3D-Druck ab. Es war noch nie so einfach und kostengünstig, Nachahmungen beliebiger Objekte herzustellen, selbst für Verbraucher. Aus Sicht der Rechteinhaber ist die Neuerung daher zu begrüßen. Sie könnte allerdings zu weit gehen. Denn sie erfasst nun auch die Erstellung und Verbreitung von „Druckvorlagen“ für 3D-Drucker in Form von sog. CAD-Dateien. Dies könnte zu einem erheblichen Haftungsproblem für Plattformen werden, auf denen Nutzer Informationen über den 3D-Druck austauschen und die bisher die legale Weitergabe und den Download solcher Vorlagen für den nicht kommerziellen Eigengebrauch erlaubt haben.
Noch problematischer ist die Erfassung von „Software, die das Design aufzeichnet“. Da Software nicht zwischen selbst erstellten, freien und geschützten Designs unterscheiden kann, könnte diese Bestimmung die Software als solche illegal machen. Es wird sich zeigen müssen, wie sich diese Regelung auf die Technologie 3D-Druck und deren Verbreitung auswirkt.
Reparaturklausel für Ersatzteile: Ersatzteile verletzen keine geschützten Geschmacksmuster, wenn sie zum Zwecke der Reparatur eines komplexen Produkts verwendet werden, um dessen ursprüngliches Erscheinungsbild wiederherzustellen. Tuningteile oder Zubehörteile fallen nicht unter die Ausnahme, die zusätzlich wohl nicht durchgesetzt werden kann, solange auf dem betreffenden Ersatzteil sichtbar eine geschützte Marke verwendet wird. Die Regel zielt erkennbar auf den Automotive-Markt, betrifft aber auch das sog. „Rolex Tuning“.
Grenzbeschlagnahme im Transit: Im Fall von Plagiaten kann eine Grenzbeschlagnahme im Transitland erfolgen, wenn der Vertrieb der Erzeugnisse im Zielland als Designverletzung unzulässig wäre. Eine ähnliche Regel gilt bereits im Markenrecht. Im Bereich „fast fashion“ kann sich der EU-weite Grenzbeschlagnahmeantrag lohnen, weil die Designs schnell und unproblematisch geschützt und zum Gegenstand eines solchen Antrags gemacht werden können. Die Effektivität hängt allerdings am Ende sicherlich von der Sorgfalt der Zollbeamten ab.
Wie bei allen gut gemeinten Reformen bringen die Neuerungen auch neue Rechtsunsicherheiten mit sich. Besonders spannend werden die Entwicklungen im Bereich des 3D-Drucks und der virtuellen Designs sein, da die Reform hier Neuland betritt und es voraussichtlich mehrere Jahre dauern wird, bis sich Konturen schärfen. Weiter unklar sind außerdem die Überschneidungen mit anderen Rechtsgebieten und insbesondere dem Urheberrecht. Die lange Schutzdauer (70 Jahre bis nach dem Tod des Schöpfers) und die Tatsache, dass Urheberrecht keine Eintragung erfordert und keinen Gebühren unterliegt, machen Urheberrecht für Rechteinhaber sehr interessant.
Klar ist aber bereits jetzt: Die Reform ist ein bedeutender Schritt zur Modernisierung des europäischen Designrechts und macht das häufig zu Unrecht übersehene Schutzrecht Design noch attraktiver. Denn Designs ermöglichen es innovativen Unternehmen mehr denn je, innerhalb weniger Tage einen eingetragenen und auch effektiven Schutz zu erlangen, der EU-weit durchgesetzt werden kann. Das kann nun durch das neue „Ⓓ im Kreis“ sogar kommuniziert werden. Der Schutz gegen Plagiate wird durch die Transitregel und die Möglichkeit der Grenzbeschlagnahme gestärkt – nicht schlecht für ein ungeprüftes Schutzrecht, dessen Rechtsgültigkeit im Verletzungsverfahren sogar vermutet wird.
Kostengünstige Sammelanmeldungen ermöglichen den Schutz spezifischer Versionen von Erzeugnissen. Ob Mode oder Mobiltelefon: Beide können in verschiedenen Farben und Ausgestaltungen angemeldet und geschützt werden. Mehr noch: Es können naheliegende Varianten und Alternativen zu den tatsächlich benutzten Designs angemeldet und so eine Art „Bannkreis“ um das Produkt werden. Anders als bei Marken gibt es bei Designs keinen Benutzungszwang und der Schutz ist auch nicht auf bestimmte Waren oder Dienstleistungen beschränkt. Designs sollten daher fester Bestandteil der IP-Strategie jedes Unternehmens werden – zukünftig sogar solcher Unternehmen, die im digitalen Kosmos unterwegs sind.