Was plant die neue Regierung im Arbeitsrecht? Welche für den Bereich HR relevanten Änderungen stehen im Koalitionsvertrag? Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien nachfolgend die wesentlichen Planungen aus dem Koalitionsvertrag zusammengefasst.
Mindestlohn: Der gesetzliche Mindestlohn soll bis 2026 auf 15 € steigen. Wörtlich heißt es: „An einer starken und unabhängigen Mindestlohnkommission halten wir fest. Für die weitere Entwicklung des Mindestlohns wird sich die Mindestlohnkommission im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren. Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar.“ – Der offensichtliche Widerspruch zwischen einer „unabhängigen“ Mindestlohnkommission und den sofort folgenden Orientierungsvorgaben für diese ist entweder niemandem aufgefallen oder wird hingenommen.
Tarifbindung: Zur Stärkung der Tarifbindung wird ein Bundestariftreuegesetz eingeführt, das bei öffentlichen Aufträgen des Bundes ab 50.000 € gilt. Wörtlich heißt es ferner: „Tariflöhne müssen wieder die Regel werden“.
Arbeitszeitflexibilisierung und -erfassung: Künftig soll im Arbeitszeitgesetz eine wöchentliche statt der täglichen Höchstarbeitszeit zulässig sein und Vertrauensarbeitszeit soll – im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie - weiter möglich sein… – hier darf man sicher auf die Ausgestaltung gespannt sein.
Mitbestimmung und Digitalisierung: Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen sollen künftig auch virtuell als gleichwertige Alternative zulässig sein. Zudem soll im Betriebsverfassungsgesetz die Möglichkeit zur Online-Wahl des Betriebsrats verankert werden. Gewerkschaften erhalten ein digitales Zugangsrecht zu Betrieben, entsprechend ihrem bisherigen analogen Zutrittsrecht.
Mehrarbeit: Zuschläge für Mehrarbeit sollen steuerfrei werden, wobei diesbezüglich die Grenze der Vollzeit im Rahmen tariflicher Regelungen bei 34 Stunden gegeben und bei nicht tariflich vereinbarten Arbeitszeiten 40 Stunden betragen soll… – Dies dürfte Konflikte und Abgrenzungsschwierigkeiten mit sich bringen. Ferner stellt sich durchaus die Frage, ob damit aus Sicht der Regierung künftig eine 34-Stunden-Woche neuer Standard werden soll (ausgeklammert wird, ob und inwiefern sich das Land dies im globalen Wettbewerb leisten kann oder mag).
Einsatz Künstlicher Intelligenz: Beim Einsatz von KI in Unternehmen sollen sowohl die Qualifizierung der Beschäftigten als auch „faire Regelungen“ für den Umgang mit anfallenden Mitarbeiterdaten sichergestellt werden. Die diesbezügliche Mitbestimmung soll „weiterentwickelt“ werden… – Hier darf man gespannt bleiben, das bisherige Wording zumindest lässt keine besonders tiefe Sachnähe der Verhandler in diesem Bereich vermuten.
Förderung der Gewerkschaftsmitgliedschaft: Die Mitgliedschaft in Gewerkschaften soll attraktiver werden. Geplant sind steuerliche Anreize für Gewerkschaftsmitglieder, um ihren Beitrag faktisch zu vergünstigen und so den Organisationsgrad zu erhöhen… – Staatlich geförderte Gewerkschaftsbeitritte dürfte jedenfalls den von Mitgliederschwund und -austritten gebeutelten Gewerkschaften gefallen.
Bürokratieabbau im Arbeitsrecht: Schriftform-Erfordernisse werden abgebaut, um Verfahren zu vereinfachen. Insbesondere wird die, soweit noch vorhandene, gesetzliche Schriftformpflicht bei Arbeitsverträgen (z. B. auch für befristete Arbeitsverhältnisse) gestrichen, sodass digitale Vertragsabschlüsse rechtswirksam möglich werden.
Befristungsrecht (TzBfG): Das Teilzeit- und Befristungsgesetz wird angepasst, um das Anschlussverbot bei sachgrundloser Befristung in bestimmten Fällen zu lockern. Beschäftigungsverhältnisse während eines Studiums werden künftig vom Anschlussverbot ausgenommen. Zudem wird das Anschlussverbot aufgehoben, um Rentner nach Erreichen der Regelaltersgrenze eine befristete Weiterbeschäftigung beim vorherigen Arbeitgeber zu ermöglichen… – Dies erleichtert freiwilliges Weiterarbeiten über die Altersgrenze hinaus, die bisher, wenn überhaupt, über Arbeitnehmerüberlassung erfolgte.
Statusfeststellungsverfahren: Zur Vermeidung von Scheinselbständigkeit wird das sozialversicherungsrechtliche Statusfeststellungsverfahren grundlegend reformiert… – Präziser wird der Koalitionsvertrag leider noch nicht.
Pendlerpauschale: Die Entfernungspauschale für Berufspendler wird zum 1.1.2026 auf 38 Cent ab dem ersten Kilometer angehoben und dann dauerhaft auf diesem Niveau festgeschrieben.
Zentrale Einwanderungsagentur: Es wird eine neue digitale Agentur für Fachkräfteeinwanderung („Work-and-Stay-Agentur“) geschaffen. Diese soll als zentrale IT-Plattform und einheitliche Ansprechpartnerin für ausländische Fachkräfte dienen. Unter Mitwirkung der Bundesagentur für Arbeit bündelt und beschleunigt die Agentur sämtliche Verfahren der Erwerbsmigration und der Anerkennung ausländischer Berufs- und Studienabschlüsse. Die Beteiligung von Arbeitgebern im Einwanderungsprozess soll verbessert werden, um Verfahren praxistauglicher zu gestalten. Bürokratische Hürden bei der Anerkennung ausländischer Qualifikationen sollen abgebaut werden durch konsequente Digitalisierung und Zentralisierung der Verfahren. Ziel ist es, Anerkennungsverfahren innerhalb von 8 Wochen abzuschließen. Eine ad-hoc Bund-Länder-Arbeitsgruppe wird zeitnah Maßnahmen vorschlagen… – Dass in diesem Bereich dringender Reformbedarf besteht und die Verfahren beschleunigt werden müssen, ist offenkundig und ein Dauerproblem aller betroffenen Unternehmen und HR- oder Relocation-Mitarbeiter. Inwieweit dies durch Schaffung weiterer Arbeitsgruppen und Agenturen gelingt darf – auch angesichts bisheriger Erfahrungen vorhergehender Regierungen – noch bezweifelt werden. Letztlich müsste auch jede einzelne Ausländerbehörde einheitliche und verbindliche (Zeit-)Vorgaben für die Bearbeitung von Fällen, Terminvergaben, usw. erhalten bzw. ggf. ein echtes „Fast-Track“-Verfahren geschaffen werden. All dies findet sich im Koalitionsvertrag nicht, sodass zu befürchten steht, dass sich an den praktischen Problemen der teils verkrusteten Behördenstrukturen wenig ändert. Ausnahmen bestätigen jedoch die Regel und die Hoffnung stirbt zuletzt.
Geflüchtete und Arbeitsmarkt: Hürden für Geflüchtete beim Zugang zum Arbeitsmarkt sollen abgebaut werden. Insbesondere werden Arbeitsverbote für auf maximal drei Monate befristet und danach eine Beschäftigung ermöglicht. (Ausgenommen von dieser Regel sind Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten, Dublin-Fälle sowie Personen, die das Asylrecht offenkundig missbrauchen.) Außerdem soll die schnelle und nachhaltige Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt gefördert werden – etwa durch frühzeitige Anerkennung von im Heimatland erworbenen Qualifikationen, berufsbegleitenden Spracherwerb und passgenaue Weiterbildungsangebote.
Ohne an dieser Stelle allzu politisch zu werden, ist in diesem Bereich des Koalitionsvertrages die Handschrift der SPD eindeutig erkennbar. Wenngleich die Umsetzung einzelner Gesetzesvorhaben natürlich abzuwarten bleibt, ist aus dem Koalitionsvertrag zumindest keine große Reform des Arbeitsrechtes erkennbar, wenn auch einiges wie bspw. eine Wochenarbeitszeit in die richtige Richtung geht – man könnte auch sagen: endlich in der längst vorhandenen Realität ankommt.