Verlustnutzung nach Anwachsung – Praxishinweise zum BFH-Urteil vom 19.03.2025 – XI R 2/23

Der Bundesfinanzhof („BFH“) hat in seinem jüngst veröffentlichten Urteil vom 19.03.2025 (Az.: XI R 2/23) zur Verlustnutzung bei Anwachsung einer zweigliedrigen KG auf eine GmbH Stellung genommen. Dabei schloss sich der XI. Senat des BFH der bereits vom III. Senat im Urteil vom 25.04.2024 (Az.: III R 30/21) für Gewerbesteuerverluste nach § 10a GewStG entwickelten Rechtsprechung an und übertrug diese Grundsätze auf verrechenbare Verluste nach § 15a EStG. Nach dem Urteil des XI. Senats dürfte nunmehr kein Zweifel mehr an dem umfassenden Übergang der Verluste bei Anwachsung einer Personengesellschaft auf eine Kapitalgesellschaft bestehen. Das Urteil schafft wichtige Rechtssicherheit für Anwachsungen in der Praxis, offenbart aber auch einige Fallstricke, weshalb sich eine Beschäftigung damit lohnt.

Worüber musste der BFH entscheiden?

Im zugrunde liegenden Streitfall war eine GmbH (A-GmbH) alleinige Kommanditistin einer GmbH & Co. KG, bei der die Komplementär-GmbH (B-GmbH) am Kapital nicht beteiligt war (sog. zweigliedrige GmbH & Co. KG). Die B-GmbH schied zum 30.12.2011 entschädigungslos aus der KG aus, wodurch das gesamte KG-Vermögen im Wege der Anwachsung auf die A-GmbH überging.

Die A-GmbH machte daraufhin sowohl einkommensteuerliche Verluste nach § 15a EStG als auch Gewerbesteuerverluste geltend, die bei der KG entstanden waren. Das Finanzamt verweigerte die Anerkennung der Verluste. Nachdem das FG München der Klage Anfang 2023 stattgegeben hatte (6 K 1787/19), erhob das Finanzamt Revision mit der Begründung, dass bezüglich § 15a EStG die verrechenbaren Verluste durch die Anwachsung untergegangen seien, da die ursprüngliche Betriebsidentität aufgelöst werde. Jedenfalls sei eine Verrechnung nur mit Gewinnen aus dem ursprünglichen verlustverursachenden Betrieb möglich. Gewerbesteuerrechtlich fehle es an der erforderlichen Unternehmensidentität, da diese durch den einheitlichen Betrieb der A-GmbH untergegangen sei.

Zu welcher rechtlichen Einschätzung kam der BFH?

Der BFH hat die Revision des Finanzamts zurückgewiesen und das Urteil des FG München bestätigt. Damit stellte er klar, dass bei Anwachsung einer KG auf eine GmbH sowohl verrechenbare Verluste nach § 15a EStG als auch Gewerbesteuerverluste nicht untergehen.

Das Grundprinzip des § 15a EStG

Um die Tragweite dieser Entscheidung zu verstehen, ist zunächst das Grundprinzip des § 15a EStG zu betrachten: Nach dieser Vorschrift können Kommanditisten ihre Verluste nur begrenzt mit anderen Einkünften verrechnen. Sobald die Verluste die Einlage der Kommanditisten in die KG übersteigen (negatives Kapitalkonto), dürfen diese "überschüssigen" Verluste nicht mit Einkünften aus anderen Gewerbebetrieben oder anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden. Soweit der Verlust nicht ausgeglichen werden darf, mindert er jedoch gem. § 15a Abs. 2 EStG die steuerlichen Gewinne, die dem Kommanditisten in späteren Wirtschaftsjahren aus seiner Beteiligung an der KG zuzurechnen sind. Entsprechende Beträge werden als "verrechenbare Verluste" jährlich gesondert festgestellt.

Die Folgen der Anwachsung für verrechenbare Verluste nach § 15a Abs. 2 EStG

Wenn die KG ohne Liquidation vollständig beendet wird, weil die am Kapital nicht beteiligte Komplementärin (B-GmbH) entschädigungslos ausscheidet, geht das Vermögen der KG im Wege der Anwachsung auf den alleinigen Kommanditisten (A-GmbH) über. Ist zu diesem Zeitpunkt der gewerbliche Organismus der KG noch nicht vollständig eingestellt, geht der festgestellte verrechenbare Verlust vollständig mit über.

Entschieden wies der BFH die Auffassung des Finanzamts zurück, wonach die A-GmbH die Verluste nur nutzen könne, wenn sich der Betrieb der vormaligen KG noch bei ihr identifizieren lasse. Eine solche Voraussetzung finde keine gesetzliche Grundlage. Vielmehr folge aus § 8 Abs. 2 KStG, dass die A-GmbH nur einen einheitlichen Gewerbebetrieb unterhält. Eine Fortführung des konkret verlustverursachenden Betriebs der KG sei daher nicht notwendig. Die A-GmbH kann somit die übernommenen Verluste mit sämtlichen künftigen Gewinnen aus ihrem gesamten Betrieb verrechnen.

Zudem stellte der BFH klar, dass die umwandlungssteuerrechtlichen Beschränkungen des § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG auf die Anwachsung nicht anwendbar sind und auch nicht zu Lasten der A-GmbH analog anzuwenden seien. Die übergegangenen Verluste bleiben verrechenbare Verluste und werden nicht in ausgleichsfähige Verluste umqualifiziert.

Die Folgen der Anwachsung für gewerbesteuerliche Verluste

Parallel zur körperschaftssteuerlichen Behandlung musste der BFH auch die gewerbesteuerliche Verlustnutzung beurteilen. Der XI. Senat verwies dabei auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des III. Senats vom 25.04.2024 (Az.: III R 30/21), wonach eine Kapitalgesellschaft aufgrund des einheitlichen Gewerbebetriebs nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG auch im Wege der Anwachsung übernommene Gewerbesteuerverluste einer Personengesellschaft nutzen kann, ohne den ursprünglichen verlustverursachenden Betrieb fortführen zu müssen. Der XI. Senat schloss sich dieser Rechtsprechung vollumfänglich an.

Offen ließ der BFH jedoch, ob eine Ausnahme gelten würde, wenn die unternehmerische Tätigkeit der Personengesellschaft bereits vor der Anwachsung vollständig beendet ist, da im Streitfall der gewerbliche Betrieb zum Anwachsungszeitpunkt lediglich weitgehend, aber nicht vollständig eingestellt war.

Verfahrensrechtliche Aspekte

Aufgrund der Anwachsung am 30.12.2011 hätte eigentlich keine Feststellung nach § 15a Abs. 4 EStG auf den 31.12.2011 erfolgen dürfen. Der dennoch ergangene und bestandskräftige Bescheid bildet jedoch nach § 182 AO die bindende Grundlage für die Verlustverrechnung. Dies führt dazu, dass ein Abzug der festgestellten verrechenbaren Verluste erst im Rahmen der Körperschaftsteuer für das Streitjahr 2012 erfolgen darf.

Verfahrensrechtlich wies der BFH bei der Gewerbesteuer auf die Besonderheit hin, dass für den Erhebungszeitraum 2011 zwei getrennte Bescheide hätten ergehen müssen, weil es durch die Anwachsung im Jahr 2011 zwei verschiedene Steuerpflichtige gibt (vgl. BFH, Urteil vom 13.10.2005 - IV R 55/04). Der Bescheid für die Zeit vor der Anwachsung wäre an die A-GmbH als Gesamtrechtsnachfolgerin und der Bescheid für die Zeit nach der Anwachsung an die A-GmbH ohne Zusatz zu adressieren gewesen. Der tatsächlich ergangene Bescheid über die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts auf den 31.12.2011 ist jedoch bestandskräftig geworden und bildet – wenn auch verfahrensrechtlich nicht korrekt – deshalb die bindende Grundlage für den Gewerbesteuermessbescheid der A-GmbH im Streitjahr 2012. Eine Verlustverrechnung war aufgrund der bindenden Grundlage ebenfalls erst im nächsten Erhebungszeitraum (2012) möglich.

Praxishinweise

  1. Zeitpunkt der Verlustnutzung 
    Die Verlustverrechnung kann nur mit künftigen Gewinnen nach dem Zeitpunkt der Anwachsung erfolgen. Auf die Frage, was bei unterjähriger Anwachsung als „künftiger“ Gewinn anzusehen ist, musste der BFH nicht eingehen und ist daher offen. 
     
  2. Umfang der Verlustverrechnung
    Die übernehmende GmbH kann die übernommenen Verluste mit sämtlichen Gewinnen aus ihrem gesamten Betrieb verrechnen. Eine Beschränkung auf Gewinne aus der übernommenen Tätigkeit der KG besteht nicht.
     
  3. Zeitpunkt einer Anwachsung planen
    Eine Fortführung des verlustverursachenden Betriebs der KG ist nicht erforderlich.
    Aber Achtung: Der Betrieb darf zum Zeitpunkt der Anwachsung noch nicht vollständig eingestellt sein. Bei vollständiger Betriebseinstellung vor Anwachsung ist die Rechtslage noch ungeklärt. Der Zeitpunkt der Anwachsung sollte daher sorgfältig gewählt werden, sodass eine vollständige Betriebseinstellung vor Anwachsung vermieden wird.
     
  4. Steuererklärungen und Steuerbescheide
    Die verfahrensrechtlichen Regeln sind einzuhalten. Andernfalls drohen - wie im Streitfall - „falsche“ Feststellungen, die, wenn sie bestandskräftig werden, laut BFH eine nachteilige Bindungswirkung hinsichtlich des Zeitpunkts der Abzugsfähigkeit entfalten können.
     
  5. Dokumentation und Nachweis
    Es sollte für eine spätere Betriebsprüfung dokumentiert werden, dass der Betrieb der KG zum Anwachsungszeitpunkt noch nicht vollständig eingestellt war.

Schlüsse aus dem BFH-Urteil vom 19.03.2025 – XI R 2/23

Das Urteil schafft wichtige Rechtssicherheit für die Verlustnutzung bei Anwachsung einer KG. Gleichzeitig zeigt das Urteil die Komplexität und Fehleranfälligkeit solcher Anwachsungskonstellationen auf. Das richtige Timing, die verfahrensrechtliche und materiell-rechtliche Umsetzung erfordern eine sorgfältige Vorbereitung. 

Die neue Rechtsprechung eröffnet erhebliches Gestaltungspotential für Unternehmen mit entsprechenden Strukturen und sollte auch bei der Prüfung bestehender Altfälle berücksichtigt werden. Durch eine steuerliche Beratung kann sichergestellt werden, dass die Vorteile durch die eröffnete umfassende Verlustverrechnung nicht durch eine ungünstige Strukturierung verloren gehen. 

Ebenfalls ist empfehlenswert, mögliche Haftungsrisiken, die im Zuge der Anwachsung auf die GmbH übergehen könnten, frühzeitig mit rechtlicher Unterstützung identifizieren zu lassen und sorgfältig zu bewerten.

***

Die vorstehenden Ausführungen dienen nur der Information und ersetzen keine Rechts- oder Steuerberatung.

Bei der Erstellung des Artikels hat unsere wissenschaftliche Mitarbeiterin Freeke Tasman mitgewirkt.

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