Vesting-Klauseln unwirksam: BAG stärkt Arbeitnehmerrechte bei Optionen

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Dr. Karina Bischoff

Counsel
Deutschland

Als Counsel im Bereich Internationales Arbeitsrecht in Düsseldorf berate ich in- und ausländische Mandanten in allen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.

Vertragsklauseln, die den sofortigen oder beschleunigten Verfall bereits ,,gevesteter" virtueller Aktienoptionen – häufig im Rahmen sogenannter Employee Stock Option Plans (kurz ESOP) – bei Eigenkündigung oder nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorsehen, benachteiligen Arbeitnehmer unangemessen und sind daher gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Urteil vom 19. März 2025 (Az. 10 AZR 67/24) klargestellt.

Gevestete Optionen sind verdiente Vergütung und nicht nur Anreiz

Virtuelle Aktienoptionen sind beliebte Arbeitnehmerbindungsinstrumente, bringen jedoch auch rechtliche Risiken mit sich. Besonders Verfallklauseln, die regeln, wann bereits "gevestete" (erworbene) Optionsrechte wieder verfallen, sind aus rechtlicher Sicht herausfordernd. 

Gevestete Optionen gelten als ,,verdient" – also als durch Arbeitsleistung angesammelt. In ESOPs wird in der Regel eine sogenannte Vesting-Periode definiert: Über einen festgelegten Zeitraum, meist vier Jahre, ,,verdient" der Arbeitnehmer anteilig seine Optionen. Üblich ist zudem ein einjähriger Cliff (erst nach 12 Monaten fließt der erste Anteil zu).

Das BAG stellt in seiner Entscheidung klar: Virtuelle Optionen werden grundsätzlich nur für Zeiträume ,,verdient", in denen der Arbeitnehmer auch einen Entgeltanspruch hat. Das sogenannte Vesting ist damit unmittelbar an den Austausch von Arbeitsleistung gegen Vergütung (§ 611a BGB) geknüpft.

Im Prozess argumentierte der Arbeitgeber, die Leistung sei „freiwillig“ und im Zuteilungsschreiben sei ausdrücklich ausgeschlossen worden, dass ein Vergütungsanspruch entsteht. Dem folgte das BAG nicht: Durch Auslegung der Vertragsklauseln kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass gevestete Optionen eine Gegenleistung für die während der Vesting-Periode erbrachte Arbeitsleistung darstellen.

Diese Einschätzung stützte sich u.a. auf Abschnitt 3.4 des vereinbarten ESOP-Plans, wonach das Vesting ausgesetzt wird, wenn der Arbeitnehmer ohne Gehalt freigestellt ist, etwa während einer Elternzeit oder eines unbezahlten Sabbaticals. Damit macht das BAG deutlich: Optionen fließen nur zu, wenn tatsächlich ein Vergütungsanspruch besteht, was den Charakter als Arbeitslohn untermauert.

Der Begriff „freiwillig“ besagt in diesem Zusammenhang lediglich, dass der Arbeitgeber nicht gesetzlich oder kollektivrechtlich zur Leistung verpflichtet ist. Bereits verdiente Ansprüche können dadurch aber nicht einseitig ausgeschlossen werden.

Konkrete Fallkonstellation: 143,75 Optionen nach Eigenkündigung

Im konkreten Fall war der Kläger vom 1. April 2018 bis zum 31. August 2020 beschäftigt, er hatte das Arbeitsverhältnis ordentlich gekündigt. Zum Zeitpunkt des Ausscheidens waren aufgrund der Beschäftigungsdauer von einem Jahr und drei Monaten 7,1875 virtuelle Optionen gevestet, was nach einem späteren Split 143,75 virtuellen Optionen entspricht.

Der Arbeitgeber berief sich auf zwei Verfallklauseln: Virtuelle Optionen verfallen, wenn das Arbeitsverhältnis vor einem Ausübungsereignis durch Kündigung des Berechtigten endet - ein kompletter Sofortverfall bei Eigenkündigung (4.2 ESOP). Zusätzlich sah eine gestaffelte Verfallsregelung vor, dass ausübbare Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses sukzessive verfallen: 12,5% nach 3 Monaten bis zu 100% nach 24 Monaten (4.4.3 ESOP).

BAG: Verstoß gegen Vergütungsgrundsätze und Berufsfreiheit

Die Verfallklausel steht nach Ansicht des BAG in Widerspruch zum Grundgedanken des § 611a Abs. 2 BGB, indem sie dem Arbeitnehmer auch dann die Chance auf Beteiligung an einem wirtschaftlichen Erfolg entzieht, wenn er zu diesem durch erbrachte Arbeitsleistung beigetragen hat. Mit der Erfüllung der Vesting-Periode erwirbt der Berechtigte gevestete Optionen, die eine von einem Ausübungsereignis abhängige Chance auf Beteiligung an einer Wertsteigerung verkörpern.

Die Klausel verkürzt daneben die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit unverhältnismäßig, weil sie die Ausübung des Kündigungsrechts unzulässig erschwert. Der Optionsberechtigte müsste zur Vermeidung einer möglichen Vermögenseinbuße das Anstellungsverhältnis für die Maximalfrist von 15 Jahren aufrechterhalten.

Zweijähriger Verfall nach vierjährigem Vesting unverhältnismäßig

Auch die Regelung des gestaffelten Verfalls innerhalb von zwei Jahren nach Ausscheiden ist unverhältnismäßig, wenn die Vesting-Periode vier Jahre beträgt.

Es fehle – so das BAG – an empirischen Belegen, dass der Beitrag des Arbeitnehmers zum Unternehmenserfolg nach dem Ausscheiden doppelt so schnell an Relevanz verliere, wie er aufgebaut wurde.

Das Gericht setzt damit das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Maßstab: Ist die Beteiligung wirtschaftlich Ausdruck der Arbeitsleistung, muss der Anspruch zeitlich mindestens dem Aufwand für den Erwerb entsprechen.

Verhältnismäßigkeitsprinzip als neuer Maßstab

Wenn die Chance auf Gewinnbeteiligung in synallagmatischem Verhältnis zur erbrachten Arbeitsleistung steht, entspricht es dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, diese Verdienstmöglichkeit für den Arbeitnehmer mindestens so lange zu erhalten, wie er für den Erwerb der gevesteten Optionen aufgewendet hat.

Langfristige Arbeitnehmerbindung wird bereits durch Vesting und die zusätzliche Erbringung von Arbeitsleistung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses erreicht. Verhaltenssteuerung tritt auch dann ein, wenn der Arbeitnehmer nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses eine Verfallsperiode beachten muss, die der Vesting-Periode entspricht.

Praktische Konsequenzen für Unternehmen

Verfallklauseln können bei Unwirksamkeit wegen des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion nicht mit rechtlich zulässigem Inhalt aufrechterhalten werden und entfallen daher ersatzlos. Als Folge stehen den Arbeitnehmern unverfallbare Anteile um Unternehmen zu, die zu einer Entwertung des Unternehmens führen könnten.

Auswirkungen auf ESOP- Strukturen:

Für Unternehmen hat dies weitreichende Folgen: Sie müssen bestehende ESOP-Regelungen dringend überprüfen und Verfallklauseln so gestalten, dass deren Laufzeit zeitlich zumindest proportional zur Vesting-Periode ist. Eine Verfallsperiode, die der Vesting-Periode entspricht, wäre rechtlich angemessen und verhältnismäßig.

Für Arbeitnehmer bedeutet das Urteil einen deutlich stärkeren Schutz erworbener Optionsrechte. Bestehende Vereinbarungen sollten auf unwirksame Klauseln geprüft werden.

Wenn Arbeitnehmer unverfallbare Anteile am Unternehmen erhalten, kann dies die Unternehmensbewertung und -steuerung beeinflussen. Insbesondere bei virtuellen Beteiligungen bedeutet dies, dass Optionsrechte auch nach Ausscheiden auf dem Unternehmen bestehen bleiben und nicht mehr einfach durch Verfallsklauseln eingeschränkt werden können. Dies kann zu einer erhöhten Kapitalverpflichtung für das Unternehmen führen und potenziell die Flexibilität bei der Mitarbeiterbindung einschränken.

Fazit: Keine "Nebenleistung" – sondern echte Vergütung

Das BAG stärkt mit seiner Entscheidung die Position der Arbeitnehmer erheblich. Virtuelle Aktienoptionen sind mehr als ein Anreiz, sie sind Teil der Vergütung für geleistete Arbeit. Sie dürfen deshalb nicht durch pauschale Verfallklauseln entwertet werden.

Das Urteil macht insgesamt deutlich: Virtuelle Aktienoptionen sind nicht nur Anreizinstrumente, sondern auch Vergütungsbestandteile für bereits erbrachte Arbeitsleistung. Unternehmen müssen faire, verhältnismäßige Regelungen entwickeln, die Arbeitnehmerrechte wahren.

Gleichwohl ist zu betonen, dass es stets auf die konkrete Ausgestaltung der jeweiligen Beteiligungsvereinbarung und die Umstände des Einzelfalls ankommt. Aufgrund der erheblichen rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken für Options- bzw. Arbeitgeber ist eine individuelle arbeitsrechtliche Beratung dringend zu empfehlen.

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