Zwischen teilweiser Marktöffnung und fragmentarischer Regelung entsteht ein hochinnovativer Markt für Cannabisprodukte und anwaltliche Beratung
Cannabis als Medizin, als Wellness-Produkt – und als Beratungsgegenstand? Spätestens seit der Liberalisierung der Cannabismedizin in Deutschland im Jahr 2017 ist dies keine Vision, sondern Wirklichkeit. Seither befassen sich Ärzte und Krankenkassen ebenso mit Cannabisblüten und –extrakten wie E-Commerce-Plattformen, Vertreiber von Kosmetika – und Anwälte.
Wegbereiter waren Entscheidungen höchster Bundesgerichte. Patienten mit schweren chronischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose hatten gegen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte („BfArM“) geklagt, nachdem dieses eine Ausnahmeerlaubnis zum Anbau von Cannabis für eigene therapeutische Zwecke ablehnte – mangels öffentlichen Interesses. Das Bundesverwaltungsgericht entschied wiederholt für die klagenden Patienten: „Das erforderliche öffentliche Interesse ist zu bejahen, wenn die Erkrankung durch die Behandlung mit dem Betäubungsmittel geheilt oder zumindest gelindert werden kann und wenn dem Betroffenen keine gleich wirksame Therapiealternative zur Verfügung steht“ (Az. 3 C 10/14). Nach dieser klaren Maßgabe war nun der Gesetzgeber gefordert. Er musste diesen grundrechtsunmittelbaren Anspruch der Patienten auf Zugang zu Cannabisblüten und -extrakten praktisch umsetzen, nicht zuletzt um einen „nicht zielführenden Eigenanbau von Cannabis zur Selbsttherapie zu vermeiden“ (BT-Drs. 18/8965, S. 10).
Seit dem im März 2017 in Kraft getretenen Cannabis-Gesetz sind Einfuhr und Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken in Deutschland zulässig. Ärzte dürfen Cannabisblüten und -extrakte ohne Beschränkung auf bestimmte Indikationen verschreiben. Die gesetzlichen Krankenkassen erstatten die Therapiekosten bei schwerwiegenden Erkrankungen unter zwei Voraussetzungen: Erstens stehen anerkannte Therapien nicht zur Verfügung oder sind wegen ihrer Nebenwirkungen nicht angezeigt. Zweitens besteht eine „nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung“ – so formuliert es § 31 Absatz 6 des fünften Sozialgesetzbuches. Über eine angemessene Preispolitik streiten derzeit noch die Verbände der Krankenkassen und Apotheker.
Und nicht nur diese: Mit dem Rückenwind der Gesetzesänderung für medizinische Verwendung haben sich in zahlreichen Ländern Märkte für Wellnessprodukte mit Cannabisderivaten gebildet – allen voran die bekannten CBD-Öle. In hinreichender Dosis ist CBD ein Arzneimittel, in geringerer Dosis etwa ein Nahrungsergänzungsmittel. Im Januar 2019 folgte der Paukenschlag aus Brüssel: Europäische Kommission und EU-Mitgliedsstaaten setzten Extrakte aus Cannabis sativa L. in den Novel-Food-Katalog – eine Liste neuartiger Lebensmittel, die grundsätzlich nur mit entsprechender Zulassung in Verkehr gebracht werden dürfen.
Der Katalog allerdings ist nicht rechtsverbindlich – nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eine widerlegliche Vermutung. Das auf Bundesebene für Fragen des Lebensmittelrechts zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) reagierte prompt und schloss sich der Brüsseler Sicht per Statement auf der Website an: „Dem BVL ist derzeit keine Fallgestaltung bekannt, wonach Cannabidiol (CBD) in Lebensmitteln … verkehrsfähig wäre“.
Dies bedeutet nicht, dass CBD-haltige Lebensmittel aus den Regalen verbannt werden müssten. Denn das BVL ist für die Durchsetzung des Lebensmittelrechts gegenüber Herstellern und Vertreibern nicht zuständig, sondern die entsprechenden Landesbehörden. Und diese können, ebenso wie einige EU-Mitgliedstaaten, über die Einordnung von CBD geteilter Meinung sein. Erste Fälle haben bereits Verwaltungsgerichte befasst.
Zwischen partieller Marktöffnung und fragmentarischer Regelung hat sich ein boomender Markt für Cannabisprodukte zu medizinischen und anderen Zwecken entwickelt. Der sich verändernde Rechtsrahmen auf völkerrechtlicher, europarechtlicher sowie auf Bundes- und Länderebene stellt nicht nur die Unternehmen vor große Herausforderungen. Markt, Politik und Regulierung schaffen im Bereich Cannabis ein wachsendes Beratungsfeld und die Möglichkeit, an der Entwicklung dieses spannenden Marktes mitzuwirken.
Dieser Artikel ist im Original in der azur100 erschienen.