In einem noch nicht vollständig abgefassten Urteil vom 12. Oktober 2022 führt der 5. Senat des BAG (5 AZR 30/22) seine Rechtsprechung zur Meldeobliegenheit gemäß § 38 SGB III fort (BAG 27. Mai 2020 - 5 AZR 387/19). Danach müssen sich auch leitende Angestellte nach einer Kündigung bei der Arbeitsagentur für Arbeit arbeitssuchend melden.
Nachdem sich ein leitender Angestellter erfolgreich gegen eine fristlose Kündigung zur Wehr setzte, klagte er auf die Nachzahlung des Arbeitslohns in Höhe von EUR 175.000,00 wegen Annahmeverzugs. In der Berufungsinstanz wurde die Klage vollständig abgewiesen, da sich der leitende Angestellte geweigert habe, sich bei der Arbeitsagentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden. Im Kern führte das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG Niedersachsen, 9. November 2021 – 10 Sa 15/21) die Rechtsprechung des 5. Senats des BAG fort. Der Auffassung des leitenden Angestellten, herausgehobene Managementpositionen würden ausschließlich über externe Dienstleister (sog. Headhunter) vermittelt, erteilte die Berufungsinstanz dagegen eine Absage. In der Revisionsinstanz hat das BAG die Entscheidung nun mit der Begründung aufgehoben, dass die bloße Weigerung die Meldeobliegenheit zu erfüllen, nicht für die Verweigerung der gesamten Nachzahlung ausreiche.
Bis zur gerichtlichen Feststellung der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Kündigung im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens können Jahre vergehen. Arbeitgeber, die im Zusammenhang mit einer Kündigung praxisüblich die Gehaltszahlungen des Gekündigten einstellen (ggf. erst nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist), müssen unter Umständen mit der Nachzahlung einer nicht nur unerheblichen Summe an Arbeitslohn rechnen.
Einen Anspruch auf Arbeitslohn haben Arbeitnehmer allerdings nur, wenn ein Annahmeverzug gemäß §§ 615, 293ff. BGB vorliegt (sog. Annahmeverzugslohn). Hierbei handelt es sich um die Ausnahme von dem im Arbeitsrecht geltenden Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“. Hat der Arbeitgeber die im Zeitraum des Kündigungsschutzverfahrens angebotene Arbeitsleistung des leistungsfähigen sowie leistungsbereiten Arbeitnehmers unrechtmäßigerweise abgelehnt und wird rechtskräftig das Bestehen des Arbeitsverhältnisses durch das Arbeitsgericht festgestellt, ist der Arbeitgeber zur Zahlung von Annahmeverzugslohn verpflichtet.
Zur Vermeidung ungerechtfertigter Vorteile der Arbeitnehmerschaft im schwebenden Beschäftigungsverhältnis regelt § 11 KSchG die Anrechnungspflicht auf den Annahmeverzugslohn (sog. annahmeverzugslohnrelevante Obliegenheiten). Arbeitnehmer müssen sich dann anrechnen:
Als böswilliges Unterlassen gemäß § 11 Nr. 2 KSchG ist es nach der Rechtsprechung daher anzusehen, wenn der gekündigte Arbeitnehmer zumutbare Arbeitsangebote der Agentur für Arbeit ablehnt. Neben § 11 Nr. 2 KSchG enthält auch § 615 S: 2 BGB eine allgemeine Regelung zur Anrechnung böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienstes, welche bei der Frage eines Anspruchs auf Annahmeverzugslohns (bzw. dessen Umfangs) ebenfalls zum Tragen kommt.
Erforderlich für die Arbeitsvermittlung durch die Agentur für Arbeit ist allerdings die Arbeitslosenmeldung durch den gekündigten Arbeitnehmer (sog. sozialversicherungsrechtliche Meldeobliegenheit). Nur dann kann die Agentur für Arbeit ihre Vermittlungstätigkeit gemäß § 35 SGB III aufnehmen, zumutbare Arbeit anbieten und den Arbeitnehmer in die Situation versetzen seiner Obliegenheit nach § 11 Nr. 2 KSchG (und § 615 S. 2 BGB) nachzukommen oder auch nicht. Im letzteren Fall kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer seine Obliegenheitsverletzung durch die Anrechnung auf den Annahmeverzugslohn entgegenhalten.
Die Berufungsinstanz sah ein böswilliges Unterlassen zumutbare Arbeit anzunehmen schon darin, dass der Arbeitnehmer ohne ausreichenden Grund seiner Meldeobliegenheit nicht nachgekommen sei. Eine Schädigungsabsicht sei nicht erforderlich. Wieso das LAG Niedersachen zu dieser Bewertung kommt, liegt auf der Hand. Der Arbeitnehmer verhindert ein zumutbares Arbeitsangebot schon auf der ersten Stufe. Das BAG scheint diesen Ansatz zu teilen. Gleichsam signalisierte es mit der Aufhebung und der Zurückverweisung an das LAG Niedersachen jedoch, dass die Weigerung sich bei der Behörde zu melden nicht ausreiche, um den vollständigen Annahmeverzugslohn abzuweisen.
Die Entscheidung ist für Arbeitgeber und die arbeitsrechtliche Praxis überaus wichtig. Auf die Veröffentlichung der Urteilsbegründung wird mit Spannung gewartet. Angesichts der hohen Vergütung leitender Angestellter ist der Weg der Berufungsinstanz zu begrüßen. Leitende Angestellte im Sinne von § 5 Abs. 3 BetrVG haben in einigen arbeitsrechtlichen Situationen eine gegenüber anderen Arbeitnehmern verminderte Stellung (§§ 14 KSchG, § 105 BetrVG, ggf. in Manteltarifverträgen), im Kern bleiben sie jedoch Arbeitnehmer. Die generelle Befreiung von den Obliegenheiten des § 11 KSchG bzw. § 615 S. 2 BGB wäre insofern nicht nachvollziehbar, da die Anrechnung von Erlangtem in schuldrechtlichen Austauschverhältnissen ein Grundprinzip ist (vgl. etwa § 285 BGB). Fraglich bleibt nach der Entscheidung des BAG, inwieweit eine Reduzierung des Annahmeverzugslohnes zu erwarten ist und ab welchem Verletzungsgrad der Meldeobliegenheit eine vollständige Anrechnung auf null vorzunehmen ist. Zuzugeben ist, dass das LAG Niedersachsen sich in Bezug auf den Vorhalt des leitenden Angestellten, seine Managementposition werde nur von „Headhuntern“ vermittelt, realitätsfremd äußert. Herausgehobene Managementpositionen werden wohl kaum von der Arbeitsagentur vermittelt. Jedenfalls sind Headhunter als externe Dienstleister nicht im System des SGB III vorgesehen, weshalb eine Bewertung ausschließlich an § 11 Nr. 2 KSchG und § 615 S. 2 BGB erfolgen muss. Freilich schließt sich daran die Frage, ob für ehemalige Manager nur noch Managementpositionen zumutbar sind. Die Ausführungen des BAG sind abzuwarten.
In diesem Zusammenhang kann man indes auch eine umgekehrte Überlegung anstellen. Im Hinblick auf das vom Kläger vorgebrachte Argument, die Arbeitsagentur würde leitende Positionen sowieso nicht vermitteln, drängt sich die Frage auf, ob ehemals in solchen Positionen beschäftigte Arbeitssuchende ihrer Obliegenheit in ausreichender Weise nachkommen, wenn sie bei der Arbeitssuche nur über die Arbeitsagentur vorgehen. Es sprechen durchaus praxisgerechte und überzeugende Argumente dafür, dass die Einschaltung einschlägiger „Headhunter“ als zumutbare Maßnahme anzusehen und eine entsprechende Verpflichtung anzunehmen wäre. Höchstrichterlich ist diese Frage bisher noch nicht entschieden, spannend und praxisrelevant ist sie allemal. Eine entsprechende Entscheidung könnte weitergehenden Aufschluss über die Maßstäbe im Hinblick auf die erwartbaren Eigenbemühungen gekündigter Mitarbeiter geben.
Für Arbeitgeber ist im Kontext zu der neuerlichen BAG-Entscheidung der Modus Operandi bei Kündigungen hervorzuheben. Hierzu zählt, dass die Meldeobliegenheitsproblematik durch ein Erfüllen der arbeitgeberseitigen Hinweispflicht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3SGB III frühzeitig ins Rollen gebracht wird, anderenfalls könnten relevante aufrechenbare Schadensersatzansprüche den anrechenbaren Kürzungen des Annahmeverzugslohnes entgegenstehen. Des Weiteren steht dem Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer ein Auskunftsanspruch über dessen Bewerbungsbemühungen und die Vermittlungsvorschläge durch die Bundesagentur zu, um Kenntnis von anrechnungsrelevanten Obliegenheitsverletzungen gemäß § 11 KSchG zu erhalten.