Als Fachanwalt für Arbeitsrecht bin ich als Partner im Arbeitsrechtsteam in Deutschland und unserer Praxisgruppe Internationales Arbeitsrecht tätig und biete breitgefächerte Expertise in komplexen arbeitsrechtlichen Sachverhalten.
Die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass Unternehmen unabhängig von ihrer Größe und auch branchenübergreifend Personal abbauen müssen. In diesem Zusammenhang gewannen Massenentlassungsanzeigen und deren Voraussetzungen an Bedeutung.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 15.10.2021 – Aktenzeichen 7 Sa 405/21
Mit einem solchen Fall beschäftigte sich auch das LAG Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 15. Oktober 2021 (7 Sa 405/21).
Krankheitsbedingte Massenentlassung?
Die beklagte Arbeitgeberin erbringt Sicherheitsleistungen am Düsseldorfer Flughafen und beschäftigt mehr als 500 Arbeitnehmer. Sie kündigte dem Kläger, der als Luftsicherheitsassistent beschäftigt war, im November 2020. Begründet wurde die Kündigung mit seiner wiederholten Arbeitsunfähigkeit. Er war in den Jahren von 2018 bis 2020 ans 61, 74 und 45 Kalendertagen arbeitsunfähig erkrankt. Aus diesem Grund stellte die Beklagte eine negative Gesundheitsprognose.
Die Fehlzeiten des Klägers hätten zu erheblichen wirtschaftlichen Belastungen und Störungen im Betriebsablauf geführt. Im Zeitraum vom 25. November bis zum 22. Dezember 2020 sprach die Beklagte auch gegenüber 34 weiteren Arbeitnehmern einer Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen aus. Eine Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit erstattete sie nicht, da sie eine solche ausschließlich bei betriebsbedingten Kündigungen für erforderlich hielt.
Gegen die Kündigung wehrte sich der Kläger mit einer Kündigungsschutzklage. In erster Instanz hatte das Arbeitsgericht Düsseldorf dieser Klage stattgegeben. Gegen diese Entscheidung wendete sich die Beklagte.
Voraussetzungen der Anzeige
Das LAG hat ebenso wie das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Kündigung sei bereits aufgrund der fehlenden Massenentlassungsanzeige aus formellen Gründen unwirksam.
Eine Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit nach § 17 KSchG ist dann erforderlich, wenn der Arbeitgeber innerhalb von 30 Kalendertagen eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern entlässt. Hierbei hängen die Schwellenwerte, ab wann eine Massenentlassungsanzeige erforderlich ist, von der Anzahl der Arbeitnehmer im Betrieb ab (§ 17 Abs. 1 KSchG). Für einen Arbeitgeber, der im jeweiligen Betrieb mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt, ist eine Massenentlassungsanzeige erforderlich, wenn er 30 oder mehr Arbeitnehmer entlässt (§ 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 KSchG). Das vollständige Fehlen einer Massenentlassung hat die Unwirksamkeit der Kündigungen zur Folge.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist eine Massenentlassungsanzeige nicht ausschließlich bei betriebsbedingten Kündigungen erforderlich. Das deutsche Recht hat mit § 17 KSchG die europäische Richtlinie 98/59/EG („Massenentlassungsrichtlinie“) umgesetzt und fasst hierbei den Begriff der Massenentlassung weiter als die Richtlinie. Diese sieht Massenentlassungen nur in „Entlassungen, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person des Arbeitnehmers liegen, vornimmt“ (Art 1a der Richtlinie). Umfasst sind also nur betriebsbedingte Kündigungen. Eine solche Einschränkung nimmt das deutsche Recht nicht vor. Umfasst ist jede vom Arbeitnehmer nicht gewollte, also ohne seine Zustimmung erfolgende Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Personen- und verhaltensbedingte Kündigungen sind daher nicht ausgenommen. Aufgrund der fehlenden Massenentlassungsanzeige war die Kündigung unwirksam.
Sinn und Zweck der Anzeige
Auch Sinn und Zweck der Massenentlassungsanzeige unterstützen die Auffassung des LAG. Durch die Anzeige soll die Agentur für Arbeit die Belastungen des Arbeitsmarktes durch eine große Anzahl an Arbeitslosen auffangen und reduzieren. Sie soll frühzeitig auf die geplanten Entlassungen reagieren und Vermittlungs- und Qualifizierungsmaßnahmen durchführen können. Der Arbeitsmarkt wird durch jede Kündigung, unabhängig ob personen-, betriebs- oder verhaltensbedingt belastet. Daher ist die Anzeige bei Kündigungen aller Art erforderlich. Im Zweifel sollte daher aufgrund der erheblichen Folgen für die Wirksamkeit der Kündigung vorsorglich eine Massenentlassungsanzeige gestellt werden.