Die klägerische Arbeitnehmerin hat Anspruch auf höhere Vergütung, wenn die beklagte Arbeitgeberin die nicht-geschlechtsspezifischen Kriterien für das vergleichsweise geringere Gehalt nicht ausreichend darlegt.
(LAG Baden-Württemberg, 19.06.2024 – 4 Sa 26/23)
Die Parteien streiten über die Höhe des Arbeitsentgelts, welches bei der Arbeitnehmerin geringer war als in der männlichen Vergleichsgruppe. Die Klage war bislang nur im Hinblick auf zwei Gehaltsbestandteile (Grundgehalt und Dividendenäquivalent) erfolgreich. Über den Anspruch auf eine Entgeltgleichbehandlung bezüglich des Company Bonus wurde noch nicht entschieden.
Nach Auffassung des Gerichts gehören die streitgegenständlichen Dividendenäquivalente zum Arbeitsentgelt, auf das trotz Vertragsfreiheit der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz Anwendung findet. Dieser setzt voraus, dass der Arbeitgeber Entgelt(bestandteile) nach einem bestimmten, erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt. Dies war hier der Fall. Insoweit dürften einzelne Arbeitnehmer von diesem Entgeltbestandteil nur ausgeschlossen werden, wenn sachliche Gründe hierfür bestünden. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz sei insoweit „Lenkrad und Korrektiv anreizmotivierter Vergütungssteuerung“.
Dem Gericht zufolge verbietet der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur die willkürliche Schlechterstellung von Arbeitnehmern innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung. Vorliegend hat die Arbeitgeberin selbst eine betriebliche Vergleichsgruppe bestimmt, mit der sich auch die Arbeitnehmerin verglichen hat. Die Arbeitgeberin konnte aber nicht darlegen, was die Gründe für die unterschiedliche Verteilung der Dividendenäquivalente im Verhältnis der Arbeitnehmerin zur männlichen Vergleichsgruppe waren, sodass das Gericht einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz bejaht hat. Die Klägerin war daher bei der Zuteilung der Dividendenäquivalente so zu stellen wie vergleichbare Arbeitnehmer der betrieblichen Vergleichsgruppe.
Der Anspruch der Arbeitnehmerin auf gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit folgt nach dem Gericht aus Art. 157 AEUV und § 3 Abs. 1 und § 7 Abs. 1 EntgTranspG.
Die europäische Vorschrift des Art. 157 Abs. 1 AEUV stellt den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit auf. Die § 3 Abs. 1 und § 7 Abs. 1 EntgTranspG verbieten bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit eine geschlechtsbezogene Benachteiligung hinsichtlich aller Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen. Wann Arbeit „gleich“ oder „gleichwertig“ iSd Art. 157 AEUV ist, beurteilen die Gerichte nach nationalem Recht – in Deutschland derzeit nach § 4 EntgTranspG. In Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung stellte das Gericht fest, dass die Beweislastumkehr des § 22 AGG auch im Rechtsstreit um gleiches Entgelt für gleiche und gleichwertige Arbeit nach § 3 Abs. 1 und § 7 Abs. 1 EntgTranspG gilt. Demnach tragen Arbeitgeber bei einer vermuteten Benachteiligung, hier wegen des Geschlechts, die Beweislast dafür, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorliegt.
Nach der Rechtsprechung des EuGH und BAG sind geschlechtsneutrale Differenzierungen, etwa Berufserfahrung, Dienstalter oder Arbeitsqualität zulässig. Die Arbeitgeberin berief sich darauf, dass die männlichen Kollegen durchschnittlich etwas länger bei ihr beschäftigt seien und die Klägerin unterdurchschnittlich „performed“ hätte. Das Gericht entschied, dass die Arbeitgeberin nicht dargestellt habe, wie die Kriterien „Berufserfahrung“, „Betriebszugehörigkeit“ und „Arbeitsqualität“ im Einzelnen bewertet und gewichtet worden seien. Damit sei eine wirksame Kontrolle und Überprüfung durch das Gericht nicht möglich und die Vermutung der Benachteiligung nicht widerlegt.
Bereits am 6. Juni 2023 ist die Entgelttransparenzrichtlinie (EntgTranspRL) der EU in Kraft getreten. Die Gesetzgeber der Mitgliedsstaaten haben nun Zeit bis zum 7. Juni 2026 diese in nationales Recht umzusetzen. Die Richtlinie soll bezwecken, das Recht von Arbeitnehmern auf gleiches Entgelt zu stärken und den bereinigten Gender-Pay-Gap durch transparente Vergütung und Entschädigungsregelungen zu verringern.
Art. 18 der EntgTransRL verlagert die Beweislast bei glaubhaft gemachter Diskriminierung auf den Arbeitgeber. Mit der Umsetzung der EntgTransRL in nationales Recht wird daher die vom Gericht vorgenommene entsprechende Anwendung des § 22 AGG auf § 3 Abs. 1 und § 7 Abs. 1 EntgTranspG nicht mehr erforderlich sein. Darüber hinaus sieht die Richtlinie vor, dass diese Beweislastumkehr auch bereits bei einem vorherigen Verstoß gegen Transparenzpflichten gilt. Mit der EntgTransRL sollen zudem Bewertungskriterien für Vergütungssysteme festgelegt und Auskunftsrechte der Arbeitnehmer erweitert werden. Außerdem sollen eigenständige Anspruchsgrundlagen für Schadensersatz und Entschädigung bei geschlechtsspezifischer Benachteiligung geschaffen werden. Durch die Umsetzung von Art. 23 der EntgTransRL werden schließlich sogar Sanktionen in Form von Geldbußen eingeführt, die bisher im EntgTranspG nicht enthalten sind.
Das Urteil zeigt die hohen Darlegungs- und Beweisanforderungen an Arbeitgeber bei vermuteter geschlechtsbezogener Ungleichbehandlung. Dabei sind die Hürden für eine solche Vermutung nicht hoch. Es ist daher unerlässlich, dass Arbeitgeber ihre Bewertungskriterien für Entgelt(bestandteile) transparent und nachvollziehbar gestalten, um einer gerichtlichen Überprüfung standzuhalten. Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass ihre Vergütungsstrukturen bis ins Detail geschlechtsneutral und transparent ausgestaltet sind und angewendet werden. Andernfalls setzen sie sich Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen aus. Hinzu kommen nach Umsetzung der EntgTranspRL mögliche Sanktionen. Um diese Folgen zu vermeiden, empfiehlt es sich, frühzeitig – und nicht erst nach Umsetzung der Richtlinie - transparente Entgeltstrukturen zu schaffen.