Neue (Gestaltungs-)Chancen bei inkongruenten Gewinnausschüttungen?

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Dr. Rolf Schmich

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Inkongruente bzw. disquotale Gewinnausschüttungen, bei denen die Ausschüttungen von den tatsächlichen Beteiligungsverhältnissen abweichen, bieten eine interessante Möglichkeit zur Verlagerung steuerbarer Einkünfte zwischen Gesellschaftern. Die Vereinbarung von inkongruenten Gewinnausschüttungen führt unter anderem deshalb häufig zu Auseinandersetzungen mit der Finanzverwaltung. Viele steuerrechtliche Fragen in diesem Zusammenhang waren und sind im Detail nach wie vor ungeklärt.

Die neueste Verlautbarung der Finanzverwaltung zum Thema inkongruente Gewinnausschüttungen bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung („GmbH“) geben Anlass, einen Blick auf dieses interessante Gestaltungsmittel zu werfen. In diesem Artikel bereiten wir nachfolgend die aktuellen Entwicklungen kurz und verständlich für Sie auf und bieten einen Überblick über die derzeitigen steuerrechtlichen Rahmenbedingungen.

Warum inkongruente Gewinnausschüttungen? - Die möglichen Motive

In den nachfolgenden Fällen können inkongruente Gewinnausschüttungen (steuerlich) interessant sein:

  • In einem Sanierungsfall kann beispielsweise die Vereinbarung eines abweichenden Vorausgewinns im Gesellschaftsvertrag den Eintritt neuer geldgebender Gesellschafter erleichtern. Der Vorzug bei der Gewinnausschüttung kann dabei das mit der Investition verbundene Risiko kompensieren und den Einstieg attraktiv machen.
  • Bei Familiengesellschaften können minderjährige Kinder frühzeitig unter Ausnutzung schenkungsteuerlicher Freibeträge beteiligt werden, ohne diesen zwangsweise eine Beteiligung am Erfolg in Form von Gewinnausschüttungen zu gewähren.
  • Auch im Start-up-Bereich bieten inkongruente Gewinnausschüttungen eine hilfreiche Möglichkeit, um entweder für Gesellschafter-Geschäftsführer oder Kapitalgeber finanzielle Anreize zu setzen.

Bisherige Verwaltungsauffassung: BMF-Schreiben vom 17.12.2013

Nach Ansicht der Finanzverwaltung in dem bisher geltenden BMF-Schreiben vom 17.12.2013 (IV C 2 - S 2750-a/11/10001, BStBl I 2014, 63; nachfolgend „BMF-Schreiben (alt)“) kam bezogen auf GmbHs eine steuerliche Anerkennung von inkongruenten Gewinnausschüttungen nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass die abweichende Gewinnverteilung zivilrechtlich wirksam ist. Nach dem Wortlaut des Schreibens nahm das BMF dies abschließend nur in den folgenden beiden Fällen an:

  1. Im Gesellschaftsvertrag ist gem. § 29 Abs. 3 S. 2 GmbHG ein abweichender Gewinnverteilungsschlüssel vereinbart bzw. wurde nachträglich nach § 53 Abs. 3 GmbHG durch Zustimmung aller beteiligten Gesellschafter in diesen aufgenommen oder
  2. der Gesellschaftsvertrag sieht eine Öffnungsklausel vor, nach der mit Zustimmung der beeinträchtigten Gesellschafter oder einstimmig eine vom Verhältnis der Geschäftsanteile abweichende Gewinnverteilung beschlossen werden kann.

Dadurch, dass nach dem BMF-Schreiben (alt) ausdrücklich die Prüfung eines Gestaltungsmissbrauch i.S.d. § 42 AO vorgesehen war, wurde die inkongruente Gewinnausschüttung durch die Finanzverwaltung in der Praxis einem Generalverdacht unterstellt. Dies begründete für Steuerpflichtige die latente Pflicht, detaillierte Nachweise über außersteuerliche Gründe für einen abweichenden Gewinnverteilungsschlüssel zu führen, um eine steuerliche Nichtanerkennung zu vermeiden.

Äußerungen der Finanzverwaltung zur steuerlichen Behandlung unwirksamer inkongruenter Gewinnausschüttungen gibt es bisher nicht. Ist die inkongruente Gewinnausschüttung steuerlich nicht anzuerkennen, ist von einer Ausschüttung an die Gesellschafter entsprechend ihrer Beteiligung auszugehen, d.h. der Gewinnzuordnung wird der quotale Verteilungsschlüssel zugrunde gelegt (zu rein schuldrechtlichen Abreden siehe FG Berlin, Urt. v. 31.07.2000 – 8 K 8401/97). Über mögliche weitergehende Folgen herrscht in der Praxis noch Unklarheit.

Neuerungen durch das BMF-Schreiben vom 04.09.2024

Am 04.09.2024 hat das BMF ein neues Schreiben zur steuerlichen Anerkennung inkongruenter Gewinnausschüttungen veröffentlicht (IV C 2 - S 2750-a/11/10001, BStBl. 2014 I S. 63; nachfolgend „BMF-Schreiben (neu)“), welches das BMF-Schreiben (alt) ersetzt und in allen noch offenen Fällen Anwendung findet. Dabei finden sich zur steuerlichen Anerkennung inkongruenter Gewinnausschüttungen bei GmbHs einige Neuerungen.

Zum einen wurden teilweise Anpassungen an den bisherigen Ausführungen vorgenommen. Wichtig erscheinen dabei die Folgenden:

  • Neu ist, dass die genannten Fallgruppen nicht mehr abschließend sind („insbesondere“), sich das BMF also offen für die steuerliche Anerkennung weiterer Fälle zeigt. Es erscheint aber aus Gründen der Rechtssicherheit empfehlenswert, eine inkongruente Gewinnausschüttung auf dem Wege der ausdrücklich genannten und höchstrichterlich bestätigten Fallgruppen vorzunehmen.
  • Die Finanzverwaltung erkennt nun an, dass eine nachträgliche Änderung des Gewinnverteilungsschlüssels in der Satzung nicht mehr die Zustimmung aller Beteiligten erfordert. Sie folgt jetzt der zivilrechtlichen Wirksamkeit. Das bedeutet, dass für den notariell zu beurkundenden Beschluss eine qualifizierte Mehrheit (§ 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG) und die Zustimmung aller Gesellschafter, die durch die Änderung benachteiligt werden, ausreichen. Jedenfalls die praktische Umsetzung sollte in manchen Fällen hierdurch erleichtert werden.
  • Im BMF-Schreiben (neu) hat auch die Finanzverwaltung eine Prüfung des Gestaltungsmissbrauchs nicht mehr ausdrücklich erwähnt. Dies dürfte Folge der Rechtsprechung sein, die sich damit zurückhält, einen Gestaltungsmissbrauch im Sinne des § 42 AO anzunehmen. Das ist konsequent, denn nahezu jede verdeckte Gewinnausschüttung erfolgt inkongruent, ohne dem Vorwurf des Gestaltungsmissbrauchs zu unterliegen. Daher lässt sich vermuten, dass aus Sicht der Finanzverwaltung jetzt nur noch in Ausnahmefällen von einem Gestaltungsmissbrauch auszugehen ist („sind steuerrechtlich grundsätzlich anzuerkennen“).

Hinweis: Trotz dieser positiven Entwicklung dürfte es empfehlenswert sein, bestehende außersteuerliche, wirtschaftliche Motive oder einen in diesem Zusammenhang vereinbarten Nachteilsausgleich weiterhin zu dokumentieren, um in jedem Fall sicher zu sein.

Zum anderen werden mit dem BMF-Schreiben (neu) zwei zwischenzeitlich ergangene Urteile des BFH als weitere Fallgruppen aufgegriffen. Danach werden als zivilrechtlich wirksame inkongruente Gewinnausschüttungen nunmehr ausdrücklich anerkannt:

  1. Ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss, der einstimmig für nur eine betreffende Maßnahme gefasst wird und von keinem Gesellschafter mehr angefochten werden kann (BFH, Urt. v. 28.9.2022 - Az. VIII R 20/20) sowie
  2. ein zivilrechtlich wirksamer Gesellschafterbeschluss dahingehend, dass der auf den Mehrheitsgesellschafter entfallende Gewinnanteil in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage eingestellt wird, während die Gewinnanteile der Minderheitsgesellschafter zeitlich inkongruent ausgeschüttet werden (BFH, Urt. v. 28.09.2021 - Az. VIII R 25/19).

Die steuerliche Anerkennung punktuell satzungsdurchbrechender Beschlüsse ermöglicht eine einmalige abweichende Gewinnverteilung, ohne den strengen formellen Anforderungen einer Satzungsänderung (notarielle Beurkundung, Eintragung im Handelsregister) genügen zu müssen, was die Kosten und den Aufwand spürbar reduziert. Die Anerkennung von zeitlich inkongruenten Gewinnausschüttungen kann als Instrument genutzt werden, die Besteuerung für manche Gesellschafter zeitlich nach hinten zu verschieben, da die Ausschüttung nicht zeitgleich an alle Gesellschafter erfolgen muss. Die Handlungsmöglichkeiten und Flexibilität bei einer GmbH werden dadurch erhöht.

Offene Fragen hinsichtlich inkongruenter Gewinnausschüttungen

Es fehlen jedoch nach wie vor Aussagen zu bekannten Problemen, welche die Praxis umtreiben, unter anderem:

Anerkennung inkongruenter Gewinnverteilungsabreden bei Personengesellschaften

Inkongruente Gewinnausschüttungen werden besonders im Venture-Capital- und Private-Equity-Bereich häufig genutzt. Durch diese können Mehrleistungen oder immaterielle Beiträge (Know-how oder Netzwerke) eines Gesellschafters kompensiert werden. Beispielsweise erhalten die Initiatoren in Form des verantwortlichen Investment-Managers eines als Personengesellschaft ausgestalteten Fonds häufig eine erfolgsabhängige Vergütung, den sogenannten Carried Interest. Diese Vergütung wird über eine kapitaldisproportionale Gewinnverteilungsabrede im Gesellschaftsvertrag abgebildet.

Trotz eines aktuellen BFH-Urteils (Urt. v. 16.04.2024 – Az. VIII R 3/21), das die steuerliche Anerkennung zivilrechtlich wirksamer Gewinnverteilungsabreden bei Personengesellschaften bestätigt, fehlt ein entsprechender Hinweis im BMF-Schreiben (neu). Eine Aufnahme dieses Punktes wäre wünschenswert gewesen, um weitere Rechtssicherheit zu schaffen und die Anerkennung inkongruenter Gewinnausschüttungen und Gewinnverteilungsabreden rechtsformübergreifend darzustellen.

Schenkungsteuer bei inkongruenten Gewinnausschüttungen

Bei inkongruenten Gewinnausschüttungen müssen schenkungsteuerliche Auswirkungen immer mitgedacht werden. Im BMF-Schreiben (neu) wurde leider versäumt, hierzu Stellung zu beziehen und Rechtssicherheit zu schaffen. Zwar wird im Fall einer inkongruenten Gewinnausschüttung eine Schenkung der Gesellschaft zugunsten einzelner Gesellschafter grundsätzlich abgelehnt.

Jedoch kommt im Falle einer inkongruenten Gewinnausschüttung eine Schenkung zwischen den Gesellschaftern in Betracht. Laut der Finanzverwaltung liegt eine Schenkung insbesondere in Fällen einer nicht leistungsbezogenen bestimmten inkongruenten Gewinnausschüttung regelmäßig vor (R E 7.5 Abs. 7 Sätze 10 und 11 ErbStR). Das FG Rheinland-Pfalz erkennt zudem an, dass eine inkongruente Gewinnausschüttung zu einer Doppelbelastung mit Einkommen- und Schenkungsteuer führen kann (FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 7.10.2021 - 4 K 1274/20, EFG 2022, 27, Rn. 55). Der BFH hat sich hierzu bisher nicht ausdrücklich geäußert. Etwas anderes soll für eine zeitlich inkongruente Gewinnausschüttung gelten oder wenn außersteuerliche Motive vereinbart und dokumentiert werden.

Zur Minimierung schenkungsteuerlicher Risiken und der Sicherung der ertragsteuerlichen Anerkennung empfehlen wir, eine inkongruente Gewinnausschüttung nur mit fachkundiger Beratung durchzuführen. Dadurch wird gewährleistet, dass die Vielzahl von relevanten steuerlichen Fragen, die sich teilweise noch im Fluss befinden, bei der Strukturierung berücksichtigt werden.

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Die vorstehenden Ausführungen dienen nur der Information und ersetzen keine Rechts- oder Steuerberatung.

Bei der Erstellung des Artikels hat unsere wissenschaftliche Mitarbeiterin Lara Salomon mitgewirkt.

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