Am 5. März 2024 haben sich die Vertreter der europäischen Organe im sog. Triologverfahren auf eine finale Fassung der neuen EU-Verordnung über das Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten verständigt (nachfolgend: „EU-Zwangsarbeitsprodukteverordnung“). Die Verordnung soll die Rahmenbedingungen zur Durchsetzung des Verbots von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem europäischen Markt schaffen. Die Verordnung ergänzt damit die kürzlich beschlossene Europäische Lieferkettenrichtlinie und ist Teil der Nachhaltigkeitsstrategie der EU.
Auch wenn die finale Textfassung der Verordnung noch nicht veröffentlicht wurde, ergeben sich aus den Pressemitteilungen des Europäischen Rats und des Europäischen Parlaments bereits Eckpunkte, auf die sich die EU-Gesetzgebungsorgane geeinigt haben.[1] Hierzu zählen die Folgenden:
Die EU-Zwangsarbeitsprodukteverordnung betrifft grundsätzlich alle Wirtschaftsakteure, die auf einer beliebigen Stufe der Lieferkette mit einem Produkt Handelsgeschäfte betreiben. Dazu gehören alle Unternehmen, die Produkte in der EU in Verkehr bringen (Erzeuger, Hersteller, Importeure), bereitstellen (Lieferanten, Händler) oder aus der EU ausführen (Exporteure).
Erfasst ist grundsätzlich jedes Produkt mit Geldwert, das Gegenstand eines Handelsgeschäfts sein kann. Es spielt keine Rolle, ob die Zwangsarbeit auf Ebene der Gewinnung, Ernte, Erzeugung oder Herstellung des Produkts eingesetzt wird. Von einem „in Zwangsarbeit hergestellten Produkt“ geht die Verordnung aus, wenn auf einer beliebigen Stufe der Lieferkette Zwangsarbeit eingesetzt wird.
Die zentrale Norm der EU-Zwangsarbeitsprodukteverordnung soll allen Wirtschaftsakteuren verbieten, in Zwangsarbeit hergestellte Produkte auf dem Unionsmarkt in Verkehr zu bringen, bereitzustellen oder aus der EU auszuführen (hierbei handelt es sich um Art. 3 des Vorschlags der EU-Kommission). Erfasst ist nach dem Vorschlagstext der EU-Kommission explizit auch eine Bereitstellung online oder über andere Formen des Fernabsatzes, wenn sich das Verkaufsangebot an Nutzer in der EU richtet.
Der Verordnungsvorschlag orientiert sich dabei an dem Begriff der Zwangsarbeit, wie ihn das Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation von 1930 definiert. Danach ist Zwangsarbeit „jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat“.
Neben dem allgemeinen Verbot von Produkten, die in Zwangsarbeit hergestellt werden, soll die Verordnung nach der nun getroffenen Einigung ein eigenes Verfahren zur Durchsetzung dieses Verbots vorsehen. Unter anderem die folgenden Instrumente sollen zur Verfügung stehen:
Nach dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung gilt die von einer nationalen Behörde getroffene Entscheidung in allen anderen EU-Mitgliedstaaten entsprechend.
Neben der Verbannung einzelner Produkte und Produktgruppen aus dem europäischen Markt drohen Unternehmen hohe Bußgelder, wenn sie gegen ein verhängtes Verbot des Inverkehrbringens, Bereitstellens oder der Ausfuhr eines in Zwangsarbeit hergestellten Produkts oder eine der Begleitanordnungen verstoßen. Den Umfang und das Bußgeldverfahren regelt voraussichtlich das nationale Recht. Im Gespräch waren im Gesetzgebungsverfahren zuletzt Geldbußen von bis zu 5% des Vorjahresumsatzes des Wirtschaftsakteurs auf dem EU-Markt.
Dem Text der politischen Einigung müssen das Europäische Parlament und der Europäische Rat noch formell zustimmen. Das ist – trotz der derzeit energisch geführten politischen Debatte um die Europäische Lieferketten-Richtlinie, CSDDD – zeitnah zu erwarten. Die EU-Zwangsarbeitsprodukteverordnung tritt am 20. Tag nach ihrer Verkündung in Kraft. Als Verordnung gilt sie unmittelbar in allen Mitgliedstaaten. Nach dem letzten bekannten Stand des Gesetzgebungsverfahrens werden die Regelungen jedoch erst nach 3 Jahren angewendet. Somit müssen Unternehmen voraussichtlich ab 2027 mit ihrer Durchsetzung rechnen.
Das Verbot von Zwangsarbeit ist nicht neu. Beispielsweise das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) nennt das Verbot der Beschäftigung von Personen in Zwangsarbeit als eines der in Lieferketten zu bekämpfenden Menschenrechtsrisiken (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 LkSG). Und auch vor Inkrafttreten des LkSG enthielten eine Vielzahl an Code of Conducts oder anderweitige, rechtlich unverbindliche unternehmerische Selbstverpflichtungen dahingehende Initiativen. Für nahezu alle Unternehmen ist die Materie daher keinesfalls gänzlich unbekannt.
Neu ist hingegen das Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit im europäischen Markt. Zwar baut die EU-Zwangsarbeitsprodukteverordnung auf bestehenden Rechtsvorschriften der EU und der Mitgliedstaaten sowie auf Empfehlungen der Vereinten Nationen, IAO und OECD auf. Die EU legt daher Wert darauf zu betonen, dass Unternehmen keine zusätzlichen Sorgfaltspflichten auferlegt werden würden, wenn sie keine Zwangsarbeit in ihren Lieferketten einsetzen. Die Kehrseite ist aber, dass Unternehmen auf jeder beliebigen Stufe der Lieferkette sorgfältig prüfen müssen, dass sie keine Zwangsarbeit einsetzen und entsprechende Dokumentation für Untersuchungen auf Grundlage der EU-Zwangsarbeitsprodukteverordnung vorhalten müssen. Die neue Verordnung gibt den zuständigen Behörden ein wirkmächtiges Mittel, Produkte oder Produktegruppen zu verbieten und damit aus dem Verkehr zu ziehen, wenn ein begründeter Verdacht eines Verstoßes besteht. Gerade mit Blick auf den risikobasierten Ansatz der Verordnung, sollten insbesondere größere Wirtschaftsakteure prüfen, welche Produktgruppen, Wirtschaftsbereiche und geographische Gebiete von der EU-Kommission als besonders risikobelastet für Zwangsarbeit eingestuft werden und insoweit gegebenenfalls Maßnahmen zur Prävention und Abhilfe schaffen.[1] Bei der hiesigen Darstellung handelt es sich aufgrund der bislang fehlenden Veröffentlichung der finalen Volltextfassung lediglich um einen ersten, groben Überblick unter Einbeziehung des Texts des Kommissionsvorschlags und der vorliegenden interinstitutionellen Textversionen. Erfahrungen aus der Vergangenheit mit derartigen Pressemitteilungen zeigen, dass sich im Nachhinein durchaus noch Änderungen ergeben können, die Stand jetzt nicht absehbar sind.
[2] Welche nationalen Behörden in Deutschland die Untersuchungen durchführen, ist noch nicht bekannt.