Privates bleibt privat? Wir beleuchten, welches Privatverhalten Arbeitgeber (nicht) für eine Kündigung berücksichtigen dürfen.
Noch lange nicht jedes Verhalten eines Arbeitnehmers, welches der Arbeitgeber nicht gutheißt, berechtigt gleich zu einer Kündigung. Vielmehr begründet ein Arbeitsverhältnis dem Grunde nach zunächst lediglich die Pflicht zur Erfüllung einer ordnungsgemäßen Arbeitsleistung. Daneben besteht jedoch auch – als sog. Nebenpflicht – die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur gegenseitigen Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils. Ein Arbeitnehmer muss daher auch die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers wahren, soweit dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann. Konflikte entstehen – nicht zuletzt in jüngerer Vergangenheit – vermehrt hinsichtlich politisch motivierter Betätigungen von Arbeitnehmern in ihrer Freizeit.
Wegen des Grundrechts des Arbeitnehmers auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit gilt grundsätzlich: Privates bleibt privat. So ist beispielsweise die bloße Mitgliedschaft des Arbeitnehmers in einer verfassungsfeindlichen Partei für sich genommen nicht ausreichend, um sich von dem betreffenden Mitarbeiter zu trennen (vgl. BAG, Urt. v. 12.05.2011 – 2 AZR 479/09). Dies mag auf den ersten Blick überraschen, einen Kündigungsgrund per se kann dies jedoch wegen des privaten Charakters der Freizeitgestaltung und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers nicht darstellen. Auch ist kein Arbeitnehmer zu einem „gesitteten Lebenswandel“ verpflichtet – außerdienstliches Verhalten ist nun mal primär keine Sache des Arbeitgebers.
Bei einem öffentlichen Arbeitgeber kann dies wegen der Verfassungstreuepflicht im Einzelfall anders aussehen – auch hier werden aber durchaus hohe Anforderungen gestellt. Das Arbeitsgericht Köln beantwortete die Frage, ob die außerordentliche Kündigung der Stadt gegen eine Angestellte im öffentlichen Dienst gerechtfertigt sei, weil die Bedienstete am Treffen Rechtsextremer in Potsdam im November 2023 teilgenommen und sich somit gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung positioniert haben könnte mit einem klaren „Nein“ (Urt. v. 03.07.2024 – 17 Ca 543/24). Die bloße Teilnahme an diesem Treffen reiche für eine Kündigung aus Sicht des Arbeitsgerichts Köln nicht aus. Abzuwarten bleibt, ob gegen das Urteil Berufung eingelegt und in zweiter Instanz abweichend geurteilt wird.
Maßgeblich war in diesem Fall, dass die Bedienstete nicht nach außen wahrnehmbar und repräsentativ für ihren Arbeitgeber tätig geworden ist, sondern lediglich mit Aufgaben betraut war, die ein geringeres Maß an politischer Loyalität für die funktionsgerechte Verrichtung der Tätigkeit ausreichen lassen. Denn es gilt die vom BAG geforderte sog. „funktionsbezogene“ Treuepflicht. Entscheidend ist daher, inwieweit außerdienstliche Aktivitäten unter Berücksichtigung der Stellung der Mitarbeitenden im Betrieb in die Dienststelle hineinwirken. Eine einfache Treuepflicht wird erst verletzt, wenn die konkreten Auswirkungen des Verhaltens darauf gerichtet sind, verfassungsfeindliche Ziele aktiv zu fördern oder zu verwirklichen. Folge kann im Einzelfall sein, dass arbeitgeberseitige Interessen an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegen. Zumindest Angriffe auf den Arbeitgeber selbst – beispielsweise mittels grober Beleidigungen, fremdenfeindlicher oder sexistischer Aussagen und Gewaltaufrufe gegen ihn, seine Vertreter oder auch Arbeitskollegen, stellen wegen ihres betrieblichen Bezugs auch in einer privaten Chatgruppe eine erhebliche Vertragspflichtverletzung dar und müssen nicht hingenommen werden (BAG, Urt. v. 24.08.2023, Az. 2 AZR 17/23, nähere Details zum Urteil lesen Sie hier).
Ob auch Angriffe auf die eigenen Unternehmenswerte eines Arbeitgebers als Kündigungsgrund ausreichen, hatte im Mai 2024 das Arbeitsgericht Berlin in erster Instanz zu verhandeln (Urt. v. 22.05.2024, Az. 37 Ca 12701/23). Es entschied, dass die fristlose Kündigung eines Auszubildenden, der in privaten YouTube-Videos den Umgang seines Arbeitgebers mit Israel öffentlich kritisierte, wirksam sei. Hintergrund war folgender: Der Konzern des Auszubildenden bekannte sich nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 eindeutig dazu, hinter Israel zu stehen. In der Folge verbreiteten mehrere Medien des Großkonzerns in verschiedenen Veröffentlichungen Beiträge über die Kriegshandlungen Israels im Gaza-Streifen. Ein Auszubildender des Konzerns war mit diesen Beiträgen nicht einverstanden: er veränderte zunächst sein Profilbild bei der Messenger-Plattform Teams zu einem Text „I don`t stand with Israel“ und veröffentlichte zudem ein Video auf seinem eigenen YouTube-Kanal unter dem Titel „Wie entsteht eine Lüge?“. In diesem Video kritisierte er unter Verwendung von Bildmaterial des Arbeitgebers dessen Berichterstattung zu der besagten Thematik. Inhaltlich nennt er, dass bewusst Fehlinformationen gestreut würden und angebliche Beweisfotos von Gräueltaten mittels künstlicher Intelligenz erzeugt worden seien. Unter einer Bebilderung mit Hakenkreuz-schwenkenden NS-Soldaten stellt er dabei die These auf, Israel verwende die gleichen Taktiken wie Nazis. Dazu nannte er ein Zitat des NS- „Propaganda-Ministers“ Joseph Goebbels: „Wenn man eine große Lüge erzählt und oft genug wiederholt, dann werden die Leute sie glauben.“
Der Arbeitgeber des Auszubildenden kündigte nach Kenntnisnahme des Videos diesem zwei Mal fristlos, wobei eine erste Kündigung wegen fehlender Betriebsratsanhörung unwirksam war. Er sah in den Äußerungen des Auszubildenden einen „Angriff auf seine Unternehmenswerte“. Das Arbeitsgericht Berlin sah die zweite Kündigung als wirksam an. Auf einen etwaigen Wahrheitsgehalt oder die Meinungsäußerungsfreiheit des Arbeitnehmers komme es nicht entscheidend an. Auch handelte der Arbeitgeber durch die Kündigung nicht entgegen dem Maßregelungsverbot des § 612a BGB, vielmehr liege in der Kündigung lediglich die Wahrnehmung eigener unternehmerischer Interessen. Dessen klares Bekenntnis zu Israel war nun mal bekannt.
Gegen das Urteil können beide Parteien noch Rechtsmittel einlegen. Es ist jedoch zu erwarten, dass auch die etwaigen Folgeinstanzen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses für wirksam erachten, allerdings primär aus dem Grund, dass diesem Fall ein Ausbildungsverhältnis mit laufender Probezeit zugrunde liegt, welches nach dem Gesetz „jederzeit ohne Einhalten einer Kündigungsfrist“ beendet werden kann (§ 22 Abs. 1 BBiG). Der besonderen Bezugnahme auf die eigenen Unternehmenswerte des Konzerns dürfte es insofern nicht streitentscheidend ankommen.
Die Frage nach Kündigungsmöglichkeiten bei Privatverhalten wird immer wieder diskutiert, wenn privates Arbeitnehmerverhalten sich – für eine gewisse Öffentlichkeit wahrnehmbar – in besonderer Weise auch auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers auswirken kann. Dessen unternehmerische Freiheiten, insbesondere auch die Erwartungen eigener Kunden sowie Vertragspartner oder aber die Forderungen einer breiteren Öffentlichkeit nach einem eindeutigen Statement und „klarer Kante“ können dazu führen, dass ein einzelner Arbeitnehmer für das Unternehmen und dessen Ruf untragbar wird. Möglich ist in diesem Zuge daher auch eine sog. Druckkündigung, wenn andere Mitarbeiter, Vertragspartner oder Kunden es verweigern, mit der betreffenden Person weiterhin zusammen zu arbeiten. Dem Arbeitgeber drohen schließlich unter anderem Imageschaden sowie Umsatzeinbußen und demgemäß mitunter nicht unerheblicher finanzieller Schaden.
Dies kann der Fall sein, wenn das Verhalten eines Arbeitnehmers öffentlichkeitswirksam Aufmerksamkeit erregt. Neben dem YouTube-Video des Auszubildenden in Berlin oder der bekannt gewordenen Teilnahme der städtischen Mitarbeiterin am Potsdamer Treffen ist zuletzt auch die viral gegangene Videoaufnahme vom Pfingstwochenende auf Sylt in aller Munde. In dem kurzen Videoclip sieht man mehrere – offenbar gut situierte – junge Erwachsene zu dem eigentlich unpolitischen DJ-Song „L’Amour Toujours“ ausländerfeindliche Parolen grölen, eine Person deutet zudem Hitlergruß und Hitlerbart an. Das Video wurde in der Folge – teils verpixelt, teils unzensiert, gekürzt oder in voller Länge – zahlreich geteilt, verbreitet und geklickt. Dabei handelt es sich nicht um einen Einzelfall, vielmehr wurden in der Folge zahlreiche Fälle bekannt, in denen der Song für die ausländerfeindlich konnotierten Parolen „Deutschland den Deutschen“ und „Ausländer raus“ missbraucht wurde. In den Kommentarspalten wimmelte es nur so von Forderungen, welche Strafverfahren, Kündigungen und harte Konsequenzen für die Beteiligten forderten. Die Adressaten dabei oft: die Arbeitgeber der Protagonisten des Videos. Mittlerweile wurde zwar der Forderung einer jungen Frau im Eilschutzverfahren stattgegeben, dass das Video von der Bild-Zeitung nicht mehr unverpixelt gezeigt werden darf (LG München I, Beschl. v. 12.06.2024, Az. 26 O 6325/24), aus Sicht der Arbeitgeber dürfte das Kind aber schon in den Brunnen gefallen sein. Bekannt geworden ist bereits, dass einige dieser Arbeitgeber ihre Konsequenzen zogen und ihren Mitarbeitern, welche auf dem Sylt-Video deutlich zu erkennen waren, fristlos kündigten, da weder die Parolen noch das dadurch zum Vorschein tretende Gedankengut der Feiernden den Werten des Unternehmens entspreche.
Kündigungen im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) können nur innerhalb von drei Wochen gerichtlich angegriffen werden, ansonsten wird ihre Wirksamkeit gesetzlich fingiert. Ob die gekündigten Protagonisten des Sylt-Videos Kündigungsschutzklagen gegen ihre jeweiligen Kündigungen eingelegt haben, ist – soweit ersichtlich – nicht bekannt geworden. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, dürften die Verfahren jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach durch den Abschluss eines Vergleichs enden, ohne dass ein Urteil über die Rechtmäßigkeit der Kündigungen zu fällen ist.
Es lässt sich letztlich festhalten, dass auch das grundgesetzlich geschützte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Rahmen der Freizeitgestaltung von Arbeitnehmern seine Grenzen hat. Sobald ein betrieblicher Bezug hergestellt werden kann und das private Verhalten des Mitarbeitenden ein gewisses öffentlichkeitswirksames Ausmaß erreicht, können Arbeitgeber ernsthafte arbeitsrechtliche Konsequenzen in Betracht ziehen. Ob es dabei immer das letzte Mittel der Kündigung sein muss oder unter Umständen auch ein Personalgespräch bzw. eine Abmahnung genügt, wird stets Frage des Einzelfalls bleiben.
Zu betonen bleibt auch, dass es bei der Frage nach den Persönlichkeitsrechten maßgeblich darauf ankommt, in welcher „Sphäre“ die privaten Betätigungen stattfanden. Handelt es sich um Aussagen im engen Freundeskreis innerhalb der eigenen Wohnung, welche unfreiwillig bekannt werden, wird die Abwägung anders aussehen können als bei einem „viralen“ Video, welches umgeben von zahlreichen anderen Menschen aufgenommen und – soweit bekannt – freiwillig weitergeleitet wurde. Festzuhalten bleibt, dass insbesondere politisch motivierte Handlungen und Aussagen von Privatpersonen nicht nur in der breiten Öffentlichkeit erhebliches Konfliktpotential bergen, sondern auch im Arbeitsverhältnis zu mitunter weitreichenden Konsequenzen führen können.