LAG Köln, Beschluss vom 28.01.2025 - 9 TaBV 88/24
Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Beschluss vom 28. Januar 2025 wichtige Grundsätze zur Einsetzung von Einigungsstellen bei ungeklärter Zuständigkeit zwischen verschiedenen Arbeitnehmervertretungsebenen aufgestellt. Die Entscheidung betrifft die praktisch relevante Frage, wie zu verfahren ist, wenn eine Angelegenheit mehrere Unternehmen eines Konzerns betrifft und die Zuständigkeitsverteilung zwischen Gesamtbetriebsrat und Konzernbetriebsrat unklar ist.
Der Streit betraf die Einsetzung einer Einigungsstelle bezüglich der Einführung und Anwendung eines IT-Systems zur Arbeitszeiterfassung bei mehreren Unternehmen im Konzern der D-Group.
Die Arbeitgeberin beabsichtigte, in einigen Unternehmen des Konzerns ein Cloud-basiertes IT-System als Software-as-a-Service (SaaS) einzuführen, das sowohl zur Erfassung der Anwesenheits- und Abwesenheitszeiten als auch für die Personaleinsatzplanung genutzt werden sollte, wobei das System gesellschaftsübergreifend gleichartig als „Ein-Mandanten-Lösung“ eingeführt werden sollte. Ein-Mandanten-Lösung meint dabei, dass die Software exklusiv für einen Konzern vorgesehen ist.
Der Konzernbetriebsrat lehnte die Aufnahme von Verhandlungen mit der Begründung ab, er sei für die Regelung nicht zuständig und sehe die Zuständigkeit entweder auf Ebene der örtlichen Betriebsräte oder des Gesamtbetriebsrats. Daraufhin beantragte die Konzernobergesellschaft beim Arbeitsgericht Bonn die Einsetzung einer Einigungsstelle, das mit rechtskräftigem Beschluss vom 29. Oktober 2024 einen Vorsitzenden Richter am LAG Köln zum Vorsitzenden der Einigungsstelle bestellte.
Auch der Gesamtbetriebsrat sah seine Zuständigkeit als gegeben an und beschloss am 21. August 2024, die Arbeitgeberin zu Verhandlungen über eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur Einführung und Nutzung des IT-Systems aufzufordern, und leitete nach Ablehnung durch die Arbeitgeberin das Verfahren zur Einsetzung einer Einigungsstelle ein.
Die rechtliche Ausgangslage war komplex, weil die Zuständigkeitsfrage zwischen Gesamtbetriebsrat und Konzernbetriebsrat von technischen Details der Software abhing. Die Arbeitgeberin vertrat die Auffassung, für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts bei der Einführung und Nutzung des geplanten IT-Systems sei der Konzernbetriebsrat zuständig, weil die Software in mehreren Unternehmen des Konzerns eingeführt werden solle und aus zwingenden technischen Gründen nur eine unternehmensübergreifende Regelung auf der Ebene des Konzerns erfolgen könne.
Der Gesamtbetriebsrat argumentierte hingegen, dass es bei dem IT-System technisch möglich sei, eine Mandantentrennung zwischen den einzelnen Gesellschaften vorzunehmen, weshalb die Einigungsstelle jedenfalls nicht offensichtlich unzuständig sei, zumal nicht hinreichend sicher feststehe, ob sich das Mitbestimmungsrecht auch auf die Frage beziehe, ob eine Ein-Mandanten-Lösung oder eine Mehr-Mandanten-Lösung eingeführt werde.
Das LAG Köln bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung des Arbeitsgerichts Bonn und stellte drei zentrale Rechtsgrundsätze auf:
Komplexe technische und ungeklärte rechtliche Fragen, von deren Beantwortung die Zuständigkeit einer Arbeitnehmervertretung (hier: Gesamtbetriebsrat oder Konzernbetriebsrat bei Einführung einer Arbeitszeiterfassung im Ein-Mandanten-Modell) abhängt, sind nicht im Einigungsstelleneinsetzungsverfahren nach § 100 ArbGG abschließend zu klären, sondern fallen in die Vorfragenkompetenz der Einigungsstelle.
Das Gericht führte aus, dass im vorliegenden Verfahren ohne tiefere Analyse des Systems nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden könne, welche Daten auf welchen Servern von welchen Arbeitnehmern für welche anderen Unternehmen verarbeitet und eingesehen werden können, dass die Administration der Software nur einheitlich für das gesamte Unternehmen erfolgt und die Administrationsrechte nur zentral vergeben werden. Zudem könnten die Fragen, ob die Einführung des IT-Systems als Ein-Mandantenlösung auf bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen eines lokalen Managements beruhte oder ob sich im Anschluss an eine bindende Organisationsentscheidung der Konzernspitze ein objektiver Zwang zu einer unternehmenseinheitlichen Regelung ergibt, nicht im beschleunigten Verfahren nach § 100 ArbGG abschließend geklärt werden.
Sind weder Konzernbetriebsrat noch Gesamtbetriebsrat offensichtlich unzuständig, können zwei Einigungsstellen zur Regelung derselben Angelegenheit eingesetzt werden.
Zur Vermeidung divergierender Einigungsstellenbeschlüsse ist es in diesen Fällen angezeigt, jeweils denselben Einigungsstellenvorsitzenden zu bestellen.
Das LAG hielt es für sachdienlich, dass das Arbeitsgericht denselben Vorsitzenden für beide Einigungsstellen bestellt hat, da so am ehesten gewährleistet werden könne, dass die zur Einführung und Anwendung des IT-Systems eingesetzten Einigungsstellen nicht zu unterschiedlichen Bewertungen kommen.
Diese Entscheidung hat erhebliche praktische Konsequenzen für die betriebliche Praxis:
Für Arbeitnehmervertretungen bedeutet die Entscheidung, dass sie bei ungeklärter Zuständigkeit nicht riskieren, ihre Mitbestimmungsrechte zu verlieren, wenn sie die Einsetzung einer Einigungsstelle beantragen. Die Zuständigkeitsfrage wird dann von der Einigungsstelle selbst im Rahmen ihrer Vorfragenkompetenz geklärt.
Für Arbeitgeber folgt daraus, dass sie bei komplexen IT-Projekten, die mehrere Konzerngesellschaften betreffen, mit der Einsetzung mehrerer Einigungsstellen rechnen müssen, wenn die Zuständigkeitsfrage nicht eindeutig geklärt ist.
Die Entscheidung des LAG Köln schafft Klarheit für die Praxis bei der Einführung konzernweiter IT-Systeme. Bedeutsam ist die Feststellung, dass komplexe technische Fragen nicht im beschleunigten Einsetzungsverfahren geklärt werden müssen, sondern der Einigungsstelle zur Klärung überlassen werden können. Die Bestellung desselben Vorsitzenden für konkurrierende Einigungsstellen ist ein pragmatischer Lösungsansatz, um widersprüchliche Entscheidungen zu vermeiden.