Der Artikel wurde erstmals in dem Branchenmagazin für die maritime Wirtschaft Schiff&Hafen, Ausgabe Nr. 11 | November 2025, im Rahmen der festen Kolumne „Navigate Digital Regulation“ von Dr. Philipp Etzkorn publiziert. Die Veröffentlichung in derSchiff&Hafen können Sie hier einsehen.
Der europäische Data Act (Datenverordnung) führt ein neues, zusätzliches Kündigungsrecht für bestimmte IT-Leistungen ein, welches auch bei Vereinbarung einer Mindestvertragslaufzeit greift. Kunden solcher Leistungen haben nun das Recht, diese mit einer Frist von maximal zwei Monaten zu kündigen, um zu einem Anbieter vergleichbarer IT-Leistungen zu wechseln.
Zusätzlich soll der Wechsel solcher Leistungen auch technisch und operativ vereinfacht werden. Der Data Act enthält dazu auch technische und operative Vorgaben, die Anbieter von IT-Leistungen einhalten müssen. Hier sind beispielsweise die Verwendung offener Schnittstellen oder das Recht gewisse Daten (zum neuen Anbieter) exportieren zu dürfen zu nennen. Die Praxis wird zeigen, ob diese technischen und operativen Maßnahmen den Zeit-/ Kostenaufwand von Implementierungsprojekten (erheblich) senken können.
Im Anwendungsbereich liegen insbesondere „as-a-Service“-Leistungen, seien es Software, Data, KI oder Infrastruktur. Nicht von den Vorgaben des Data Act erfasst sind hingegen regelmäßig Anbieter von Individualsoftware oder maßgeschneiderter Beratung.
Die Schwelle zur Individualsoftware ist aber nicht bereits überschritten, nur weil vor dem tatsächlichen Einsatz im Betrieb umfangreiche Implementierungsarbeiten erforderlich sind. Eine Software zur Warenverwaltung wäre beispielsweise erfasst, auch wenn deren Funktionen erst nach der Schaffung von Schnittstellen zu anderen Systemen sinnvoll verwendet werden können. Gleiches gilt, wenn etwa im Rahmen der Implementierung kundenspezifische Key Performance Indicators (KPIs) definiert werden müssen und/ oder Datenbanken anzubinden sind.
Anbieter solcher Leistungen sollten sich auf die neuen Vorgaben einstellen. Das gilt in juristischer, technischer und operativer Hinsicht.
Aus juristischer Perspektive ist insbesondere das eingangs genannte Kündigungsrecht in die Verträge aufzunehmen. Zudem sind weitere Mindestvertragsinhalte sowie gewisse Informationspflichten einzuhalten. Beispielsweise ist darüber zu informieren, welche Daten ein Kunde zum neuen Anbieter der vergleichbaren IT-Leistung übertragen kann.
Darüber hinaus kann sich aus dem neuen Kündigungsrecht Anpassungsbedarf für das Preismodell des Anbieters ergeben. Bislang gewährleistete der Abschluss eines Vertrages mit Mindestvertragslaufzeit eine gewisse Sicherheit und Planbarkeit. Anfänglich höhere Kosten für das Onboarding eines neuen Kunden konnte der Anbieter etwa über die gesamte Vertragslaufzeit amortisieren. Auch ermöglichte die Mindestvertragslaufzeit dem Anbieter seinen Umsatz sowie den eigenen Ressourcenbedarf für die Zukunft zu prognostizieren. Dies ist nun nicht mehr gleichermaßen möglich.
Anbieter von erfassten IT-Leistungen sollten daher prüfen, ob das eigene Preismodell – etwa aufgrund deutlich höherer Kosten im ersten Vertragsjahr – angepasst werden muss. Zu denken ist hier etwa an die Einführung einer Vertragsabschlussgebühr oder einer gesonderten Gebühr für Implementierungsleistungen. Neben solch einer grundsätzlichen Anpassung des Preismodells, was regelmäßig weitreichende Folgen haben dürfte, kann auch in den Kundenverträgen vorgesehen werden, dass der Kunde im Falle einer vorzeitigen Kündigung eine Zahlung zu leisten hat (early termination fee). Fehlt eine solche ausdrückliche Regelung jedoch, kann eine Zahlung nicht verlangt werden.
Operativer Aufwand ergibt sich für den Anbieter der gekündigten IT-Leistung zudem dadurch, dass er den Kunden bei seinem Wechsel zum neuen Anbieter angemessen unterstützen muss. Er muss beispielsweise auf die Aufrechterhaltung eines kontinuierlichen Geschäftsbetriebs hinwirken.
Um den Wechsel auch faktisch zu vereinfachen sind Anbieter von IT-Leistungen zudem verpflichtet, gewisse technische Vorgaben einzuhalten, etwa die Verwendung und/ oder Schaffung gewisser Schnittstellen. Daraus kann sich technischer Anpassungsbedarf ergeben.
Für Kunden von IT-Leistungen führen die neuen Regelungen primär zu einer Verbesserung der Situation. Sie erhalten ein zusätzliches Kündigungsrecht, während eine „early termination fee“ von ihnen nur verlangt werden kann, wenn eine solche im Vertrag angelegt ist.
Entsprechend kann es für Kunden ratsam sein, im Bestand der eigenen IT-Leistungen Wechselkandidaten zu identifizieren und die neuen rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um Kosten einzusparen oder Effizienzgewinne zu erzielen. Ob die Vorgaben des Data Act tatsächlich dazu führen, dass Implementierungsprojekte schneller, einfacher und kostengünstiger ablaufen, wird die Praxis zeigen müssen.
Im Rahmen der Kolumne „Navigate Digital Regulation” bereits erschienen:
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