Eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist normalerweise ausreichend, um Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu erhalten. Doch wenn verdächtige Umstände vorliegen, kann der Beweiswert der Krankschreibung erschüttert werden – dann muss der Arbeitnehmer seine tatsächliche Arbeitsunfähigkeit detailliert nachweisen. Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 3. Juni 2025 (Az. 7 SLa 54/25) die Anforderungen an diesen Nachweis konkretisiert.
Ein Busfahrer war von September 2022 bis August 2024 befristet bei einem Verkehrsunternehmen beschäftigt. Im Herbst 2023 sollte er neue Buslinien übernehmen, was ihm offen missfiel. Ende September 2023 meldete er sich wegen einer Durchfallerkrankung krank. Nach fünf Tagen Arbeitsfähigkeit, in denen er an der Einweisung für die neuen Linien teilnahm, gab er am 16. Oktober 2023 seine gesamte Arbeitsausrüstung zurück und reichte eine neue Krankschreibung ein – diesmal wegen einer akuten Belastungsreaktion und später einer Depression.
Der Arbeitgeber verweigerte die Lohnfortzahlung ab Mitte Oktober. Die Parteien stritten über zwei Versionen: Der Busfahrer behauptete, sein Vorgesetzter habe ihn am 15. Oktober unter Androhung einer Kündigung zur Rückgabe der Ausrüstung aufgefordert. Der Arbeitgeber bestritt dies und meinte, der Busfahrer habe die Ausrüstung freiwillig zurückgegeben, weil er nicht mehr arbeiten wollte. Der Busfahrer klagte auf Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 1. Oktober bis 8. Oktober 2023 sowie vom 16. Oktober bis 26. November 2023.
Das Arbeitsgericht Aachen hatte die Beklagte zur Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 2. bis 8. Oktober 2023 in Höhe von 1.010,56 Euro brutto verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Köln bestätigte diese Entscheidung und stellte fest, dass unabhängig davon, welche Version der Ereignisse zutreffe, kein Anspruch auf Lohnfortzahlung ab dem 16. Oktober 2023 bestehe.
Selbst wenn man die Darstellung des Busfahrers als wahr unterstellt, reicht die Krankschreibung nicht aus. Das Gericht sah zu viele auffällige zeitliche Übereinstimmungen: Die Krankmeldung erfolgte exakt an dem Tag, als der Busfahrer eine Kündigung erwartete und seine Ausrüstung zurückgab. Die Krankheit begann genau zu dem Zeitpunkt, als die ungeliebten neuen Buslinien starten sollten. Zudem blieb der Busfahrer bis zum letzten Tag seines Vertrags durchgehend krank. Diese Koinzidenzen erschütterten nach Ansicht des Gerichts den Beweiswert der ärztlichen Krankschreibung in der Gesamtschau.
Wenn der Beweiswert erschüttert ist, genügt die Krankschreibung allein nicht mehr als Beweis der Arbeitsunfähigkeit. Der Arbeitnehmer muss dann konkret darlegen, welche Symptome und Beschwerden er hatte, wie sich diese auf seine Arbeitsfähigkeit auswirkten, welche Verhaltensregeln der Arzt ihm auferlegte und welche Medikamente verschrieben wurden. Der Busfahrer nannte jedoch nur die medizinischen Diagnosen (akute Belastungsreaktion F43.0, mittelgradige depressive Episode F32.1), ohne zu erklären, wie sich diese konkret äußerten und warum er deshalb nicht Bus fahren konnte. Das reichte dem Gericht nicht.
Hinzu kam, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung neben der psychischen Diagnose auch noch eine Virusinfektion (B34.9G) und eine Gastroenteritis/Kolitis (A09.0G) auswies – also genau die Durchfallerkrankung, die bereits Ende September diagnostiziert worden war. Zu diesen zusätzlichen Diagnosen hatte der Busfahrer nichts vorgetragen.
Falls der Arbeitgeber die Wahrheit sagte und der Busfahrer die Ausrüstung freiwillig zurückgegeben hatte, greift der Grundsatz der Monokausalität: Lohnfortzahlung gibt es nur, wenn die Krankheit der einzige Grund für die fehlende Arbeit ist. Die freiwillige Rückgabe der kompletten Arbeitsausrüstung wertete das Gericht als starkes Indiz für fehlende Arbeitswilligkeit. Zusammen mit den vorherigen Äußerungen, die neuen Linien nicht fahren zu wollen, sprach alles dafür, dass der Busfahrer nicht mehr arbeiten wollte. Wer aber nicht arbeiten will, bekommt auch im Krankheitsfall kein Geld. Der Busfahrer hätte seine Rückkehr zur Vertragstreue beweisen müssen – das tat er nicht.
Selbst bei tatsächlicher Arbeitsunfähigkeit hätte der Busfahrer nur bis zum 18. Oktober 2023 Anspruch auf Lohnfortzahlung gehabt. Nach dem Gesetz gibt es pro Krankheit nur sechs Wochen (42 Tage) Lohnfortzahlung. Bei wiederholter Erkrankung mit derselben Diagnose innerhalb von sechs Monaten läuft die Frist weiter. Der Busfahrer war bereits an 39 Tagen krank gewesen, davon zwölf Tage vom 27. September bis 8. Oktober mit der Diagnose Gastroenteritis/Kolitis – derselben Diagnose, die auch auf der Krankschreibung ab dem 16. Oktober stand. Damit waren nur noch drei Tage Anspruch übrig. Der Busfahrer hätte darlegen müssen, dass die früheren Erkrankungen im März (19. März bis 5. April 2023, 18 Tage) und August (17. bis 25. August 2023, 9 Tage) völlig andere Ursachen hatten. Das tat er nicht, obwohl der Arbeitgeber sich ausdrücklich auf Fortsetzungserkrankungen berufen hatte.
Arbeitgeber müssen Zweifel an einer Krankschreibung nicht einfach hinnehmen. Es empfiehlt sich, alle verdächtigen Umstände sorgfältig zu dokumentieren: zeitliche Zusammenhänge mit Konflikten oder ungeliebten Aufgaben, Äußerungen zur Arbeitsverweigerung und die Rückgabe von Arbeitsmitteln ohne erkennbaren Anlass. Besonders aussagekräftig ist das Zusammentreffen mehrerer solcher Indizien.
Arbeitgeber müssen nicht beweisen, dass der Arbeitnehmer gesund ist. Es reicht aus, durch Indizien Zweifel am Beweiswert der Krankschreibung zu wecken. Das Gericht prüft dann in einer Gesamtschau, ob die Umstände so ungewöhnlich sind, dass ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit bestehen.
Arbeitgeber sollten in Entgeltfortzahlungsstreitigkeiten hilfsweise das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG geltend machen. Dazu ist zu prüfen, ob der Arbeitnehmer in den letzten sechs Monaten bereits mit gleicher oder ähnlicher Diagnose krankgeschrieben war, und genau auszurechnen, wie viele Tage der Sechs-Wochen-Frist bereits verbraucht sind. Durch die Geltendmachung einer Fortsetzungserkrankung steigt die Darlegungslast des Arbeitnehmers erheblich.
Zudem sollte geprüft werden, ob neben der behaupteten Arbeitsunfähigkeit andere Gründe für den Arbeitsausfall vorliegen. Der Grundsatz der Monokausalität besagt, dass Lohnfortzahlung nur dann zu leisten ist, wenn die Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung ist. Arbeitsunwilligkeit, erkennbar etwa an der unaufgeforderten Rückgabe von Arbeitsmitteln oder vorherigen Äußerungen zur Arbeitsverweigerung, schließt den Anspruch aus.
Das Urteil des LAG Köln zeigt, dass Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zwar das wichtigste Beweismittel für die Arbeitsunfähigkeit sind, aber bei verdächtigen Umständen nicht ausreichen. Arbeitgeber sollten bei begründeten Zweifeln die Lohnfortzahlung kritisch prüfen und alle Indizien sorgfältig dokumentieren.
Das Urteil unterstreicht die praktische Bedeutung der Fortsetzungserkrankungsregelung und des Monokausalitätsgrundsatzes: Wiederholte Erkrankungen mit gleicher Diagnose können zur Erschöpfung des Entgeltfortzahlungszeitraums führen, und fehlende Arbeitswilligkeit schließt den Anspruch auf Lohnfortzahlung aus. Arbeitgeber, die diese Grundsätze kennen und konsequent anwenden, können ihre Position in Entgeltfortzahlungsstreitigkeiten erheblich stärken.