OLG München: Haftung des GmbH-Geschäftsführers für masseverkürzende Leistungen iSv § 64 GmbHG

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Dr. Stefan Gottgetreu

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InsO §§ 15 a, 19, 19 Absatz II, § 142; GmbHG §§ 43, 43 Absatz II, 64

  1. Die Haftung des Organs für masseverkürzende Leistungen nach § GmbHG § 64 S. 1 GmbHG kann nur dann entfallen, wenn der Gesellschaft ein dem Gläubigerzugriff unterliegender Vermögenswert zufließt. 
  2. Insbesondere Zahlungen, mit denen Arbeitsleistungen abgegolten werden, sind masseschmälernde Zahlungen iSd § GmbHG 64 S. 1 GmbHG (entgegen OLG Düsseldorf, Urt. v. 01.10.2015 Aktenzeichen 6 U 169/14). 
  3. Zahlungen aus dem Vermögen einer insolvenzreifen GmbH können nicht durch Vorleistungen des Zahlungsempfängers mit der Folge kompensiert werden, dass schon der Tatbestand einer Zahlung iSd § GmbHG § 64 S. 1 GmbHG entfällt.

OLG München, Urteil vom 22.06.2017 - 23 U 3769/16, BeckRS 2017, 114996; Vorinstanz: LG Passau, Endurteil v. 18.08.2016 – 1 HK O 48/15 

Sachverhalt

Der klagende Insolvenzverwalter nimmt den Beklagten, den ehemaligen Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, auf Erstattung von masseverkürzenden Zahlungen in Anspruch, die dieser nach Eintritt der Insolvenzreife der Gesellschaft getätigt hatte. Nach den getroffenen Feststellungen war die Schuldnerin spätestens seit dem 31. Juli 2014 überschuldet gewesen. Der Beklagte hatte unstreitig im Zeitraum vom 1. August 2014 bis 16. Dezember 2014 Zahlungen in Höhe von insgesamt € 401.105,12 an diverse Lieferanten, Leistende, Arbeitnehmer und öffentliche Träger geleistet, obwohl deren Forderungen Lieferungen und Leistungen betrafen, die vor dem Eintritt der Insolvenzreife erfolgt waren. Der Beklagte verteidigte sich mit dem Einwand, die von ihm veranlassten Zahlungen seien mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar gewesen. Er wendete insbesondere ein, dass die durch die Zahlungen verursachte Schmälerung der Masse in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihr ausgeglichen worden sei. Dies gelte insbesondere für solche Zahlungen, mit welchen Arbeitsleistungen der Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin abgegolten worden seien. Hierdurch seien der Masse entsprechende kompensierende Vorteile zugeflossen. 

Entscheidung 

Das OLG hat die Berufung des Beklagten weitgehend zurückgewiesen und die Klage des Insolvenzverwalters im Kern für zulässig und begründet erachtet. Das OLG lehnte in seiner Begründung insbesondere die Argumentation des Beklagten ab, durch die von ihm veranlassten Zahlungen seien der Insolvenzmasse entsprechende kompensierende Gegenleistungen in Form von Arbeits- oder Dienstleistungen zugutegekommen, was eine Haftung nach § 64 S. 1 GmbHG im Ergebnis entfallen ließe. Abweichend von der insoweit anders lautenden Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Urteil v. 1. Oktober 2015 – I-6 U 169/14, NZI 2016, 642) lässt das OLG München solche Vorteile nicht als kompensierende Gegenleistungen im Rahmen der Masseschmälerungshaftung des § 64 S. 1 GmbHG gelten. Das OLG verlangt vielmehr, unter Hinweis auf Gläubigerschutzerwägungen, dass der Masse ein konkreter, dem Gläubigerzugriff unterliegender Vermögenswert zufließen müsse, um kompensatorisch und damit für den handelnden Geschäftsführer enthaftend zu wirken. Zur Erinnerung: In seinem vielbeachteten Urteil vom 18. November 2014 (II ZR 231/13, BGHZ 203, 218 - 224) hatte der BGH seine vorige Rechtsprechung zur Masseschmälerungshaftung geändert und entschieden, dass eine Ersatzpflicht des Geschäftsführers nach § 64 S. 1 GmbHG ausscheide, soweit die durch die Zahlung verursachte Schmälerung der Masse in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihr ausgeglichen werde. In Abweichung zu seiner früheren Rechtsprechung entschied der BGH, dass der als Ausgleich erhaltene Gegenstand nicht noch bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorhanden sein müsse. Diese Entscheidung wurde mit Recht als wesentliche Verbesserung der Haftungssituation von GmbH-Geschäftsführern eingestuft, die in der Krise der Gesellschaft noch Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen veranlassen. In der Folge dieser neueren BGH-Rechtsprechung hatte eine breite Diskussion darüber eingesetzt, welcher Art die kompensierende Gegenleistung sein müsse, um eine Enthaftung im Rahmen des § 64 S. 1 GmbHG herbeizuführen. Die gut begründete Entscheidung des OLG München erteilt nun einer zu weitgehenden Auslegung in Bezug auf solche kompensierenden Gegenleistungen eine Absage. Entscheidend sei, dass sich die Haftungsmasse per Saldo für die Gläubiger nicht verschlechtern dürfe; daher müsse die kompensierende Gegenleistung ein dem Gläubigerzugriff unterliegender wirklicher Vermögenswert sein. Nicht gegenständliche Vorteile anderer Art, z. B. die Tätigkeit eines Arbeitnehmers, reichten hierfür nicht aus. 

Praxisfolgen

Da das OLG die Revision mit Rücksicht auf die anders lautende Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 1. Oktober 2015 zugelassen hat, bleibt abzuwarten, wie der BGH in dieser Sache entscheiden wird. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Materie derzeit noch stark in Bewegung ist, so dass die Gerichte sich sicherlich auch in Zukunft noch weiter mit der Frage werden beschäftigen müssen, ob und inwieweit sog. „kompensierende Gegenleistungen“ eine Masseschmälerungshaftung des Geschäftsführers nach § 64 S. 1 GmbH ausschließen. Geschäftsführern ist anzuraten, bei konkreten Anzeichen für den Eintritt eines Insolvenzgrundes größtmögliche Vorsicht in Bezug auf beabsichtigte Zahlungen walten zu lassen und diese ggf. erst nach Einholung einer spezialisierten insolvenzrechtlichen Beratung vorzunehmen.

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