GmbHG § 47 Abs. 4 Satz 2
OLG Brandenburg, Urteil vom 5.1.2017 – 6 U 21/14 (LG Neuruppin), BeckRS 2016, 111779
Sachverhalt
Der Kläger ist mit einer Beteiligung von 49 % Gesellschafter der beklagten GmbH, M. mit einer Beteiligung von 51%. Gesellschafterbeschlüsse werden mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst. In 2012 beabsichtigte M., sämtliche Geschäftsanteile der Beklagten an vier Tochtergesellschaften zum Nennwert auf eine AG zu übertragen, deren Alleinaktionärin die U-GmbH ist. Gesellschafter der U-GmbH sind ebenfalls zu 49 % der Kläger und zu 51 % der M. M. ist Vorstandsvorsitzender der AG mit der Befugnis, die Gesellschaft allein zu vertreten und gegen Beschlüsse der weiteren Vorstandsmitglieder ein Veto einzulegen.
Nachdem der Verkauf der Tochtergesellschaften der Beklagten auf Geschäftsführerebene am Widerspruch des Klägers gescheitert war, berief M. eine Gesellschafterversammlung der Beklagten ein und beantragte, die Geschäftsführung anzuweisen, sämtliche Geschäftsanteile an den vier Tochtergesellschaften an die AG zu veräußern. M. stimmte dafür, der Kläger dagegen. M. stellte fest, dass der Beschluss mehrheitlich gefasst worden sei. Gegen diesen Beschluss ging der Kläger unter Berufung eines Stimmverbots des M. aus § 47 Abs. 4 GmbHG vor.
Entscheidung
Das OLG Brandenburg entschied, dass die Stimmen des M. zu Recht mitgezählt worden seien. Eine unmittelbare Anwendung des § 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG scheide aus, weil das in Streit stehende Rechtsgeschäft nicht mit M. als Mitgesellschafter, sondern mit der AG geschlossen wurde, an der M. nur mittelbar beteiligt sei. § 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG sei auch nicht analog anzuwenden. Denn allein aus einer Beherrschung der Drittgesellschaft durch den GmbH-Gesellschafter lasse sich auf eine Interessenkollision jedenfalls dann nicht schließen, wenn der Gesellschafter, wie hier, zugleich die Mehrheit der Geschäftsanteile in der GmbH besitzt. Denn in einem solchen Fall sei nicht gewiss, in welcher Gesellschaft der Gesellschafter seine Interessen mehr verfolgt. Auch ein Abgleich der Beteiligungsquote an beiden Gesellschaften lasse hinreichende Rückschlüsse auf einen Interessenschwerpunkt des M. hier ebenfalls nicht zu.
Auch aus den personellen Verflechtungen in der Person des M. als Mehrheitsaktionär und einzelvertretungsberechtigtes Vorstandsmitglied mit Vetorecht ergäbe sich kein besonderes unternehmerisches Interesse des M. an der AG, welches das Interesse des M. an der Beklagten in einem solchen Maße übersteigt, dass ein Stimmrechtsverbot begründet sein könnte. Zu einem Stimmverbot führten solche Einflussmöglichkeiten nur dann, wenn der M. etwa aufgrund der Beherrschung bei der AG eher einen Zugriff auf die Tochtergesellschaften hat, als dies in der Beklagten der Fall gewesen wäre. Dies sei nicht der Fall.
M. sei auch nicht aus einer gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht dazu verpflichtet gewesen, gegen den Beschluss zu stimmen. Aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht kann sich zwar die Pflicht zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten im Sinne der positiven Förderung des Interesses der Gesellschaft ergeben. Diese Grenze sei aber nicht schon dann erreicht, wenn eine bestimmte Stimmabgabe sinnvoll erscheint. Denn ein Gesellschafter sei in der Ausübung seines Stimmrechts grundsätzlich frei. Eine Beschränkung der Stimmrechtsausübungsfreiheit komme nur im Ausnahmefall infrage, wenn der Gesellschaftszweck objektiv eine bestimmte Maßnahme zwingend gebiete, also die zu beschließende Maßnahme zur Erhaltung des Geschaffenen oder zur Vermeidung von erheblichen Verlusten dringend geboten und dem Gesellschafter die Zustimmung zumutbar sei. Auch dies konnte vorliegend nicht festgestellt werden.
Praxisfolgen
Die vorliegende Entscheidung führt einmal mehr vor Augen, dass die Schranken des Stimmrechts nicht starr sind, sondern konkret einzelfallbezogen von den Gerichten beurteilt werden. Im Rahmen der Satzungsgestaltung sollte daher überlegt werden, eine konkretisierende Regelung zum Eingreifen von Stimmverboten aufzunehmen. Ferner sollte zum Schutz von Minderheitsgesellschaftern auf die Implementierung von qualifizierten Mehrheitserfordernissen geachtet werden. Ein Schutz kann etwa durch die Aufnahme eines Kataloges in den Gesellschaftsvertrag erreicht werden, der bestimmte Maßnahmen – etwa den Abschluss von Geschäften mit Gesellschaften, an denen die Gesellschafter mittel- oder unmittelbar beteiligt sind - der Zustimmung durch eine qualifizierte Mehrheit unterstellt.