Gegenwärtige Herausforderungen
Die Corona-Krise hat erhebliche Auswirkungen auf gerichtliche und behördliche Verfahren. Für die Fusionskontrolle gilt dies in besonderem Maße, da sie typischerweise an konkrete Fristen gebunden ist, die von den Kartellbehörden einzuhalten sind. So gilt in den meisten Ländern ein Zusammenschlussvorhaben als freigegeben, wenn nicht innerhalb einer bestimmten Frist das Hauptprüfverfahren eingeleitet wird – in Deutschland ein Monat ab Anmeldung, in anderen Ländern gelten vergleichbare Regelungen. Solche Fristen bereiten in der jetzigen Situation Schwierigkeiten: Remote Working verlangsamt die behördeninternen Vorgänge, auch weil diese trotz umfangreicher IT-Ausstattung oft noch in erheblichem Umfang auf klassischer, papierförmiger Aktenführung beruhen. Darüber hinaus ist es für die Behörden in der aktuellen Situation schwieriger, Marktbefragungen in der gebotenen Frist durchzuführen, da sich viele Unternehmen im Krisenmodus befinden und Anfragen der Kartellbehörden unter Umständen nicht prioritär behandeln.
Die Reaktion der Kartellbehörden gleichen sich, im Detail gibt es aber auch erhebliche Unterschiede.
Reaktionen der Kartellbehörden
Die Europäische Kommission hat Unternehmen aufgefordert, Fusionskontrollanmeldungen soweit möglich zu einem späteren Zeitpunkt einzureichen. Sie geht davon aus, dass die derzeitige Situation die Informationsbeschaffung von Kunden, Wettbewerbern und Lieferanten der Zusammenschlussbeteiligten erschweren wird und der Rückgriff auf Heimarbeit die interne Kommunikation sowie den Zugang zu internen Datenbanken schwieriger gestalten wird. Aufgrund möglicher Schwierigkeiten bei der Einreichung von Unterlagen in Papierform nimmt die Kommission alle Unterlagen auch elektronisch entgegen. (https://ec.europa.eu/competition/mergers/news.html)
Auch das Bundeskartellamt fordert die Unternehmen auf, im Rahmen des Möglichen Anmeldungen zurückzustellen. Um die elektronische Erreichbarkeit der Mitarbeiter sicherzustellen, hat man spezielle Email-Adressen für jede Beschlussabteilung eingerichtet. (https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Meldung/DE/AktuelleMeldungen/2020/18_03_2020_Kommunikation_Bundeskartellamt.html)
Die österreichische Kartellbehörde hat Unternehmen gebeten, nur dringende Anmeldungen einzureichen und dies der Behörde vorab mitzuteilen. (https://www.bwb.gv.at/news/detail/news/corona_covid_19_update_weitere_massnahmen_der_bundeswettbewerbsbehoerde_1632020/)
Die französische Autorité de la Concurrence hat mitgeteilt, dass die Fristen derzeit unter Umständen nicht eingehalten werden können und Unternehmen sich einstellen mögen. (https://www.autoritedelaconcurrence.fr/en/article/adaptation-merger-control-procedures-due-coronavirus-covid-19)
In Dänemark sind auf Grund eines Erlasses vom 18. März 2020 sämtliche für die dänische Behörde für Wettbewerb und Verbraucher geltenden Fristen der Fusionskontrolle ausgesetzt. Dies gilt für die Dauer von 14 Tagen, nach deren Ablauf die Situation neu bewertet werden soll. (https://www.en.kfst.dk/nyheder/kfst/english/news/2020/20200318-time-limits-for-merger-control-are-suspended-for-14-days/)
Spanien hat in Folge des landesweiten Ausnahmezustands sämtliche für Behörden geltende Fristen ausgesetzt. Anmeldungen können nicht mehr vor Ort, sondern sollen über das online-Serviceportal der Behörde eingereicht werden. (https://www.cnmc.es/en/node/379630)
Die finnische Behörde für Wettbewerb und Verbraucher hat erklärt, dass Fusionskontrollanmeldungen derzeit nur noch nach vorheriger Zustimmung der Behörde eingereicht werden sollen.
Auch außerhalb der EU haben Kartellbehörden Maßnahmen ergriffen. So hat beispielsweise Argentinien für zwei Wochen alle Fristen ausgesetzt; demgegenüber hat die brasilianische Kartellbehörde verlauten lassen, sie plane keine flexiblere Handhabung von Fristen.
Praktische Hinweise – Handlungsempfehlungen
Die Beispiele zeigen, dass Kartellbehörden unterschiedlich auf die Krise reagieren und die beste Strategie sich von Land zu Land unterscheiden kann.
Sofern sich laufende Vertragsverhandlungen ohnehin aufgrund der Krise verzögern, reduziert dies zugleich den Zeitdruck in Bezug auf die fusionskontrollrechtliche Freigabe. In anderen Fällen, insbesondere wenn der M&A-Prozess kurz vor dem Abschluss steht, wird eine zeitnahe fusionskontrollrechtliche Freigabe nach wie vor hohe Priorität haben. Eine Aufschiebung der Anmeldung kommt hier oft nicht in Frage. In diesem Fall ist es besonders wichtig, möglichst frühzeitig mit der zuständigen Kartellbehörde Kontakt aufzunehmen, um das Vorgehen abzustimmen. Eine Anmeldung ohne vorherige Rücksprache setzt die Kartellbehörde möglicherweise unter unnötigen Zeitdruck und kann das Verfahren verkomplizieren und in die Länge ziehen.
Die außergewöhnlichen Umstände erfordern ein flexibles und kreatives Vorgehen sowie eine frühzeitige Kommunikation und enge Abstimmung mit den Kartellbehörden. So kann es unter Umständen ratsam sein, bereits vor dem Signing auf vertraulicher Basis mit den zuständigen Kartellbehörden Kontakt aufzunehmen. Dies erleichtert zum einen den Behörden die Planung ihrer Ressourcen. Zum anderen erlaubt es den Parteien, frühzeitig die voraussichtliche Verfahrensdauer abzuschätzen und dies bei der Vertragsgestaltung entsprechend zu berücksichtigen.
Häufig wird es ratsam sein, zunächst einen Entwurf der Anmeldung einzureichen, auch wenn dies in der fraglichen Jurisdiktion weder erforderlich noch üblich ist. Das ermöglicht der Behörde eine erste Bewertung des Vorhabens, bevor die bindenden Fristen zu laufen beginnen, und verhindert die Einleitung einer vertieften Prüfung nur zum Zwecke, der Behörde mehr Zeit zu verschaffen.
Möglicherweise wird die Corona-Krise auch im Bereich der Fusionskontrolle längerfristige Auswirkungen haben. Es ist zu erwarten, dass die Krise in zahlreichen Sektoren zu einer bedeutenden Konsolidierung führen wird. Zudem werden die Kartellbehörden zahlreiche Sanierungsfusionen zu prüfen haben, bei denen die failing-company-Doktrin eine zentrale Rolle spielen wird. Möglicherweise gibt die Krise auch neue Impulse für eine Vereinfachung von Fusionskontrollverfahren oder eine Anpassung der Umsatzschwellen.