Der Europäische Gerichtshof (EuGH) musste sich jüngst mit den Rechten von Teilzeitbeschäftigten in Bezug auf Mehrvergütung auseinandersetzen.
Das Urteil (Urt. v. 19.10.2023 – C-660/20 (MK/Lufthanse CityLine GmbH)) dürfte die betroffenen Teilzeitbeschäftigten erfreuen und sollte bei Arbeitgebern im Hinblick auf die Regelung von Mehrvergütung Beachtung finden.
Gegenstand der Entscheidung war, die durch das Bundesarbeitsgericht (BAG) aufgeworfene Frage, ob eine tarifvertragliche Vorschrift, die einen einheitlichen, absoluten Schwellenwert an monatlichen Flugdienststunden als Voraussetzung für den Erhalt einer Mehrvergütung vorsah, vereinbar mit geltendem Recht ist.
In Rede stand die Vereinbarkeit mit dem unionsrechtlichen Grundsatz der Nichtdiskriminierung von Teilzeitbeschäftigten.
„Teilzeitbeschäftigte dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus objektiven Gründen gerechtfertigt.“ (vgl. § 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeit (RV-TzA), der Richtlinie 97/81/EG des Europäischen Rates).
Im zu Grunde liegenden Rechtsstreit stritten ein Pilot (Kläger) und seine Arbeitgeberin (Beklagte) über das Bestehen eines Anspruchs des Klägers auf eine Vergütung für zusätzlich geleistete Flugdienstzeit (Mehrvergütung).
Der Kläger war in Teilzeit für die Beklagte tätig. Ein auf den Kläger anwendbarer Tarifvertrag sah eine Mehrvergütung vor, wenn die Arbeitnehmer eine bestimmte Zahl an Flugdienststunden im Monat ableisten und festgelegte Grenzen für die Mehrvergütung überschritten wurde. Eine Herabsetzung dieser Grenzen entsprechend eines individuellen Teilzeitfaktors war nicht vorgesehen. Somit galten für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte einheitliche, absolute Schwellenwerte. Insofern lag eine einheitliche Behandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten vor.
Der Kläger war der Auffassung, dass die einheitlichen Auslösegrenzen um seinen individuellen Teilzeitfaktor herabgesetzt werden müssten. Dies zugrunde gelegt, hätte er für mehrere Jahre einen Anspruch auf die Mehrvergütung. Ohne Herabsetzung der Auslösegrenzen sehe er sich einer benachteiligten Behandlung gegenüber Vollzeitbeschäftigten ausgesetzt. Die Beklagte würde den Pro-rata-temporis-Grundsatz missachten.
Pro-rata-temporis (lat. für im Verhältnis zur Zeit) ist ein in § 4 Abs. 1 S. 2 TzBfG sowie in § 4 Nr. 2 RV-TzA niedergelegter Grundsatz der normiert, dass Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten geldwerte Leistungen mindestens in dem Umfang zu gewähren sind, der dem Anteil ihrer Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten entspricht.
Das für die Revision zuständige BAG hatte zu beurteilen, ob die in Rede stehende Vorschrift eine Benachteiligung, beruhend auf einer unterschiedlichen Behandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten, vorsieht, die nicht durch einen sachlichen Grund zu rechtfertigen ist und daher gegen geltendes Recht verstößt. Aufgrund des unionsrechtlichen Bezugs wurde im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens der EuGH angerufen, der über die Angelegenheit zu befinden hatte.
Im Mittelpunkt stand die Frage nach der Methode zur Ermittlung einer ungleichen Behandlung. Je nach Betrachtungsweise, kann sich eine vermeintliche Gleichbehandlung als Ungleichbehandlung darstellen.
Der EuGH verfolgte bisher verschiedene Ansätze, um das Bestehen einer unterschiedlichen Behandlung festzustellen. Im Rahmen der vorliegenden Entscheidung entschied sich der EuGH dafür, den jeweiligen Entgeltbestandteil für sich zu betrachten und damit am Grundsatz der Nichtdiskriminierung zu messen.
Übertragen auf den Sachverhalt kam der EuGH dementsprechend zu dem Ergebnis, dass eine ungleiche Behandlung vorliegt. Zwar werden an Teilzeitbeschäftigte die gleichen Anforderungen gestellt, wie an Vollzeitbeschäftigte. Allerdings führt diese vermeintliche Gleichbehandlung dazu, dass Teilzeitbeschäftigte, gemessen an ihrer Gesamtarbeitszeit einen längeren Flugstundendienst als Vollzeitbeschäftigte leisten müssen, um die Mehrvergütung auszulösen. Es kommt zu einer nachteiligen Auswirkung auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung. Diese Benachteiligung bedarf zu ihrer Wirksamkeit das Vorliegen eines sachlichen Grundes. Ob ein solcher gegeben ist, bezweifelt der EuGH. Diese Prüfung ist allerdings Aufgabe des BAG. Das Ergebnis bleibt abzuwarten.
Eine vermeintliche Gleichbehandlung kann sich je nach Betrachtungsweise als Ungleichbehandlung darstellen. Die Entscheidung des EuGH spricht sich in derartigen Konstellationen, wie der vorliegenden, für die individuelle Betrachtung eines jeden Vergütungsbestandteils aus. Dies stimmt mit der Rechtsprechung des BAG überein. Der EuGH sorgt mit seiner Entscheidung für mehr Rechtssicherheit.
Die individuelle Betrachtungsweise erweist sich auch als notwendig, um dem Pro-rata-temporis-Grundsatz zu genügen. Die in Rede stehende Vorschrift führt dazu, dass Vollzeitkräfte die Mehrvergütung bereits mit Überschreiten der ersten Stunde Mehrarbeit erhalten, während dies bei Teilzeitkräften gerade nicht der Fall ist. Darin liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung, der durch das nachteilige Abweichen vom Pro-rata-temporis-Grundsatz entsteht. Die Auslösegrenze müsste stattdessen proportional zur individuellen Arbeitszeit verringert werden. Arbeitgebern kann daher nur davon abzuraten sein, einheitliche, absolute Schwellenwerte für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte zu formulieren. Der Pro-rata-temporis-Grundsatz sollte stets beachtet werden, sofern nicht ein sachlicher Grund besteht, der ein anderes Vorgehen rechtfertigt. Im Rahmen von Mehrvergütung und Teilzeit empfiehlt sich daher regelmäßig ein Herabsetzen des zu erreichenden Schwellenwertes um einen individuellen Teilzeitfaktor. Damit werden sowohl die hinter dem Institut der Teilzeit stehenden Erwägungen gewürdigt, als auch dem Leisten von Mehrarbeit auf individueller Ebene Rechnung getragen.