ESMA -Leitlinien zu Reverse Solicitation unter MiCAR

Am 29. Januar 2024 hat die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority - „ESMA“) einen Entwurf der Leitlinien zu Reverse Solicitation unter der Europäischen Kryptowerteverordnung (Markets in Crypto-Assets Regulation, Verordnung (EU) 2023/1114 – „MiCAR“) herausgegeben und zur Konsultation gestellt.

Die MiCAR stellt eine bedeutete Weichenstellung für die Regulierung des Kryptosektor dar. Eine ausführliche Darstellung finden Sie in unserer Road to MiCAR.

Artikel 61 Abs. 3 MiCAR gibt der ESMA auf, bis Dezember 2024 Leitlinien zu erlassen, in denen festgelegt wird, in welchen Fällen davon ausgegangen wird, dass ein Unternehmen aus einem Drittland („Drittland-Dienstleister“) in der Union niedergelassene oder ansässige Kunden akquiriert. Gleichzeitig sollen die Leitlinien die Aufsichtspraxis im Hinblick auf die Aufdeckung und Verhinderung der Umgehung der Anwendung von MiCAR im Zusammenhang mit Reverse Solicitation zum Gegenstand haben.

1. Reverse Solicitation / Passive Dienstleistungsfreiheit

Artikel 61 Abs. 1 MiCAR beschreibt die Situation, dass ein in der Europäischen Union niedergelassener oder ansässiger Kunde auf eigene Initiative die Erbringung einer Krypto-Dienstleistung durch einen Drittland-Dienstleister veranlasst. In einem solchen Fall gilt für diesen Drittland-Dienstleister nicht der Erlaubnisvorbehalt für die Erbringung von Krypto-Dienstleistungen. Dieses seit langem bekannte Konzept wird Reverse Solicitation genannt und stellt einen Ausdruck der passiven Dienstleistungsfreiheit dar.

Auch die MiFID II kennt das Prinzip der Reverse Solicitation. Hier haben wir vier wichtige Erkenntnisse aus MiFID II Reverse Solicitation für MiCAR Reverse Solicitation dargestellt. Diese Erkenntnisse sind auch im Hinblick auf den zur Konsultation gestellten Entwurf der Leitlinien zu Reverse Solicitation unter MiCAR gültig. Vielmehr geht der zur Konsultation gestellte Entwurf der Leitlinien zu Reverse Solicitation unter MiCAR über die Erkenntnisse aus dem unter MiFID II bekannten Prinzip der Reverse Solicitation hinaus (z.B. Vorgaben zum Zeitraum für Reverse Solicitation).

Schon im Oktober 2023 hat die ESMA eine Meldung herausgegeben („ESMA clarifies timeline for MICA and encourages market participants and NCAs to start preparing for the transition“), in der sie die von ihr geplante Umsetzung der MiCAR ankündigte. Bereits dort stellte die ESMA klar, dass Reverse Solicitation ausdrücklich eine Ausnahmeregelung darstellen soll. Diese Ausnahmeregelung soll als sehr eng gefasst verstanden werden, um zu verhindern, dass hierdurch die Vorschriften der MiCAR umgangen werden. Dies soll in der EU ansässige Anleger und MiCAR-konforme Krypto-Dienstleister vor einem unzulässigen Einfall von nicht EU- und nicht MiCAR-konformen Unternehmen schützen.

2. Konsultationsentwurf der ESMA Leitlinie zu Reverse Solicitation

Folgende Punkte in dem Entwurf der ESMA-Leitlinien zur MiCAR Reverse Solicitation sind von besonderer Bedeutung:

 

  • Weite Auslegung des Begriffs „Solicitation“ („Anwerbung“) und der Person, die die Anwerbung betreibt

    Unter dem Gesichtspunkt, dass Kryptowerte und Krypto-Dienstleistungen im Wesentlichen online angeboten werden, soll der Begriff „Solicitation“ weit ausgelegt werden und ausdrücklich auch Online-Werbung beinhalten.

    Die weite Auslegung gilt auch für Personen, die im Namen des Drittland-Dienstleisters Kunden anwerben. Hierbei können diese Personen sowohl ausdrücklich als auch konkludent für den Drittland-Dienstleister handeln.

  • Auflistung von nicht vergleichbaren Kryptowerten

    Grundsätzlich fällt unter Reverse Solicitation auch der Fall, dass sich der Kunde an den Drittland-Dienstleister wendet, um einen Kryptowert zu kaufen und der Drittland-Dienstleister im Zuge dessen dem Kunden Kryptowerte der gleichen Art anbietet. Diese Tätigkeit ist in der Konstellation nicht erlaubnispflichtig.

    Was allerdings mit Kryptowerten der gleichen Art gemeint ist, erschließt sich aus der MiCAR nicht unmittelbar. In dem Entwurf der ESMA-Leitlinien befindet sich eine nicht abschließende, beispielhafte Auflistung der Kryptowerte, die gerade nicht der gleichen Art sind, welche bei der Beurteilung herangezogen werden kann:

    • Utility-Token, vermögenswertereferenzierte Token oder E-Geld-Token;
    • Kryptowerte, die nicht mittels der gleichen Technologie gespeichert oder übertragen werden;
    • E-Geld-Token, die nicht dieselbe offizielle Währung referenzieren;
    • Vermögenswertereferenzierte Token die überwiegend auf FIAT-Währungen basieren und vermögenswertereferenzierte Token die sich signifikant auf Kryptowährungen beziehen;
    • Liquide und illiquide Kryptowerte;
    • Andere Kryptowerte als vermögenswertereferenzierte Token und E-Geld-Token mit einem nicht identifizierbaren Anbieter und andere Kryptowerte als vermögenswertereferenzierte Token und E-Geld-Token mit einem identifizierbaren Anbieter.
  • Entscheidende Bedeutung des Zeitraums für die Reverse Solicitation

    Anknüpfend an den vorherigen Punkt ist aber selbst das Anbieten von vergleichbaren Kryptowerten wiederum eingeschränkt. Danach darf der Drittland-Dienstleister, der die sonstigen Voraussetzungen der Reverse Solicitation erfüllt, keine weiteren Kryptowerte oder -dienstleistungen anbieten, wenn seit der Anfrage des Kunden mehr als ein Monat vergangen ist. Dies gilt auch dann, wenn sie von der gleichen Art wie die ursprünglich angeforderten sind.

    Widersprüchlich erscheint der Zusatz, dass Kryptowerte oder -dienstleistungen der gleichen Art doch angeboten werden dürfen, wenn sie im Zusammenhang mit der ursprünglichen Transaktion angeboten werden („unless they are offered in the context of the original transaction“). Hier fehlt es zudem an einer näheren Konkretisierung des Merkmals „im Zusammenhang“, was Raum zur Interpretation lässt. Denkbar wäre beispielsweise, dass hier Optionen erfasst sein könnten.

  • Die Bedeutung von vertraglichen Vereinbarungen oder Haftungssauschlüssen in Bezug auf die Einordnung als Reverse Solicitation

    Die Beurteilung, ob ein Anbieter von Kryptowerten einen Kunden angeworben hat oder ob der Kontakt ausschließlich vom Kunden initiiert wurde, soll eine Tatsachenentscheidung sein. Disclaimer allein führen nicht dazu, dass der Anwendungsbereich der MiCAR ausgeschlossen ist.

 

 3. Folgen der ESMA-Leitlinien

 

Die ESMA-Leitlinien zeichnen ein Bild von dem, was die nationalen und europäischen Aufsichtsbehörden künftig als Umgehung der Vorschriften der MiCAR durch Anbieter aus Drittstaaten ansehen werden. Gerade der kurze Zeitraum von einem Monat, innerhalb dessen die Drittlandfirmen Kryptowerte der gleichen Art anbieten dürfen, führt dazu, dass der von der Erlaubnispflicht befreite Bereich, in dem sich die Drittland-Dienstleister aufgrund der Reverse Solicitation bewegen können, deutlich eingeschränkt ist.

Die Festlegung von konkreten Merkmalen hinsichtlich des Verständnisses von Reverse Solicitation unter der MiCAR führt allerdings nicht umfassend zu einer Auflösung von Spannungsverhältnissen: so ist etwa das Verständnis und die Zulässigkeit von Reverse Solicitation in der übrigen EU-Mitgliedstaaten mitunter deutlich unterschiedlich zu dem deutschen Verständnis. Die Ausführungen zur MiCAR vereinheitlichen diesen Aspekt aber zumindest im Anwendungsbereich der MiCAR, was insoweit zu begrüßen ist.

Bis zum 29.April 2024 kann zu dem Entwurf der ESMA-Leitlinien Stellung genommen werden.

Mit freundlicher Unterstützung von Franziska Breuer, wissenschaftliche Mitarbeiterin, und Apostolos Mitsios, wissenschaftlicher Mitarbeiter

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