ESG-Themen gewinnen stetig an Bedeutung im Geschäftsalltag jeder Art von Unternehmen. Dies folgt zum einen aus der weiterwachsenden gesetzlichen Regulierungsdichte, zum anderen daraus, dass sich Unternehmen zunehmend freiwillig zu ESG-relevanten Standards verpflichten. In diesem noch jungen und sich dynamisch entwickelnden Themenkomplex kommt nun immer häufiger die Frage auf, inwieweit Geschäftsführer dafür verantwortlich sind, dass das Unternehmen stets alle neuen gesetzlich normierte, aber auch selbstauferlegte ESG-Standards einhält und welche Haftungsrisiken ihnen bei Versäumnis dieser Pflichten gegebenenfalls drohen.
Der abstrakte Oberbegriff „Environmental, Social and Governance“ umfasst in der konkreten Anwendung die Planung und Durchführung einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen, welche grundsätzlich als strategische Leitungsentscheidung im Aufgabenbereich der Geschäftsführung liegen. Gerade aufgrund der erhöhten Öffentlichkeitswirksamkeit sollte ein durch die Geschäftsführung entwickeltes Nachhaltigkeitskonzept Hand und Fuß haben und mit entsprechender Sorgfalt vorbereitet und kontrolliert werden. Hierbei entsteht für die Geschäftsführung häufig ein Konflikt zwischen der Verfolgung von Allgemein- und Eigeninteressen des Unternehmens. Ein solcher Konflikt wird in einigen wenigen Fällen dadurch vermieden, dass die Gesellschaftsstatuten oder der Gesellschaftszweck ausdrücklich die Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen als ein Unternehmensziel vorschreibt (etwa bei gemeinnützigen Gesellschaften oder Art. 9-Fonds).
Geschäftsführer haben allgemein die Aufgabe, die Geschäfte der Gesellschaft zu führen und sie vor Schaden zu bewahren. Sie unterliegen dabei insbesondere der „Legalitätspflicht“, tragen also die Verantwortung dafür, dass das Unternehmen und seine Mitarbeiter keine Gesetzesverletzungen begehen. Im Hinblick auf die Einhaltung von Gesetzen ist die Geschäftsführung in ihren Entscheidungen gebunden, ihr steht also kein Ermessen zu.
Sollten Handlungen der Geschäftsführung zwar keine Gesetzesverletzung, aber einen Verstoß gegen ESG-Prinzipen darstellen, steht der Geschäftsführung grundsätzlich ein gewisses eigenes Ermessen zu, sie ist also in ihrer Entscheidung grundsätzlich ungebunden. Sie unterliegt jedoch auch hier der allgemeinen Business Judgment Rule, also der Verpflichtung, ihre Entscheidungen auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu treffen.
Im Hinblick auf ESG-Themen verringert sich dieses der Geschäftsführung zustehende Ermessen zunehmend. Mit der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) plant die EU-Kommission derzeit eine weitere Stärkung des Schutzes der Umwelt und Menschenrechte. Damit wird absehbar ein Wechsel von einer ungebundenen, unternehmerischen Entscheidung mit Ermessenspielraum hin zu gebundener Erfüllung der Legalitätspflicht einhergehen. Praktisch bedeutet dies, dass der Geschäftsführung immer mehr Maßnahmen vorgegeben werden, ohne dass eine eigene unternehmerische Abwägung vorgenommen werden kann.
Verstößt die Geschäftsführung gegen bestehende Gesetze oder verkennt sie den tatsächlich gar nicht bestehenden Ermessensspielraum hinsichtlich einer unternehmerischen Entscheidung, kann dies zu einer grundsätzlich unbeschränkten Haftung der Geschäftsführung für alle dem Unternehmen hieraus entstandenen Schäden nach § 43 II GmbHG führen.
Um diesem Risiko zu begegnen, sollte die Geschäftsführung ihre ESG-Compliance relevanten Organisations- und Überwachungspflichten transparent und nachvollziehbar erfüllen und hierfür ein entsprechendes Risikomanagement-System implementieren. Um die ESG-Praktiken eines Unternehmens zu bewerten, muss seine Geschäftsführung eine Vielzahl von Daten sammeln und analysieren. Dies erfordert eine angemessene Dateninfrastruktur. Eine genaue Dokumentation der Entscheidungsprozesse durch Überwachungssysteme ist dabei elementar, um als später in Anspruch genommener Geschäftsführer der Vortrags- und Beweislast ausreichend nachkommen zu können. Gleichzeitig wird durch eine derartige Dokumentation die maßgebliche ex ante-Lage konserviert, was angesichts der langen Zeitspanne zwischen den relevanten Ereignissen einerseits und einer späteren gerichtlichen Überprüfung andererseits von kaum zu überschätzender Bedeutung ist, um Rückschaufehler zu vermeiden.
In diesem Zusammenhang scheint es auch ratsam, etwaige bestehende D&O-Versicherungen zu prüfen und gegebenenfalls auf die neuen Anforderungen anzupassen.
Geschäftsführer sowohl großer, mittelständischer, als auch kleiner Unternehmen stehen vor der permanenten Aufgabe, die immer größer werdenden ESG-Anforderungen zu monitoren. Dabei hat insbesondere eine kontinuierliche Überwachung der Rechtsentwicklung zu erfolgen. Nur so kann eine Weiterentwicklung von „Soft-Law“ zu „Hard-Law“ bemerkt und unternehmensintern berücksichtigt werden. Nur so kann auch erkannt werden, ob sich die allgemeine Beurteilung eines Themas so geändert hat, dass sich ein ehemals bestehender unternehmerischer Ermessensspielraum verkleinert hat oder sogar ganz weggefallen ist. Hier können viele bereits bestehende allgemeine Compliance-Ansätze herangezogen werden.
Das durch die Geschäftsführung erarbeitete Konzept sollte nachvollziehbar ein tatsächliches Nachhaltigkeitsinteresse verfolgen und dieses nicht nur vordergründig vorgeben. Die Folgen eines „Greenwashings“ insbesondere auf die eigene Reputation und die des Unternehmens sind nicht zu unterschätzen.
Dabei sind als Leitschnur für die Entscheidungen Renditeerwartungen und Nachhaltigkeit sorgsam abzuwägen, da es im Rahmen der Leitungspflicht der Geschäftsführung darauf ankommt, kurz-, mittel- und langfristig ein belastbares und damit gleichzeitig auch erfolgreiches Geschäftsmodell zu entwickeln, zu planen und umzusetzen.