Mit der Übergabe des Abschlussberichts der Expertenkommission am 7. November 2025 an Bundesgleichstellungsministerin Karin Prien ist in Deutschland der Startschuss für die legislative Umsetzung gefallen. Bis zum 7. Juni 2026 muss die EU-Entgelttransparenzrichtlinie (EntgTranspRL) vom deutschen Gesetzgeber in deutsches Recht umgesetzt werden – das sind keine acht Monate mehr.
Für Unternehmen bedeutet dies: Wer jetzt mit den Vorbereitungen beginnt, verschafft sich einen wertvollen Vorsprung und kann die Anforderungen strukturiert und durchdacht umsetzen. Die im Bericht aufgezeigten Kontroversen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite lassen zudem erahnen, dass die finale Gesetzgebung durchaus strenger ausfallen könnte als von der Wirtschaft erhofft. Unternehmen sollten daher nicht länger abwarten, sondern bereits jetzt die notwendigen Vorbereitungen treffen.
Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie wurde 2023 auf europäischer Ebene verabschiedet und muss bis zum 7. Juni 2026 in deutsches Recht umgesetzt werden. Die zentralen Instrumente der EntgTranspRL umfassen neben der Entgelttransparenz im Bewerbungsverfahren insbesondere das Auskunftsrecht der Beschäftigten und Berichtspflichten der Arbeitgeber über Entgeltstrukturen für alle Unternehmen mit mindestens 100 Beschäftigten.
Die Regierungsparteien vereinbarten im Koalitionsvertrag 2025, die Entgelttransparenzrichtlinie „bürokratiearm in nationales Recht umzusetzen". Um dieses Ziel zu erreichen, setzte Bundesgleichstellungsministerin Karin Prien im Juli 2025 eine elfköpfige unabhängige Expertinnen- und Expertenkommission ein. Diese ist interdisziplinär besetzt mit Vertretern der deutschen Arbeitgeberschaft (VdU, BVMW, DGFP, BPM), wichtigen Dachverbänden der Sozialpartner (BDA, DGB), sowie dem Deutschen Juristinnenbund, dem Deutschen Anwaltverein und Wissenschaftlern mit Expertise im europäischen und nationalen Arbeitsrecht sowie der Volkswirtschaftslehre. Der Abschlussbericht wurde am 24. Oktober 2025 veröffentlicht und am 7 November 2025 an die Ministerin übergeben.
Der Bericht zeigt die Spannungsfelder zwischen dem Ziel der Bürokratiereduzierung und der effektiven Durchsetzung von Entgeltgleichheit deutlich auf. Die zahlreichen Sondervoten verdeutlichen die grundlegenden Interessenkonflikte bei der nationalen Umsetzung der Richtlinie.
Die Kommission ist mehrheitlich der Meinung, dass für die Berichtspflicht von Arbeitgebern das Ist-Entgelt maßgeblich ist, während einzelne Kommissionsmitglieder sowie einige der angehörten Sachverständigen aus der Unternehmenspraxis eine Berichtspflicht für das Ziel-Entgelt präferieren.
Die Kommission schlägt vor, die Berichtspflicht nach Art. 9 der EntgTranspRL nicht auf Arbeitgeber mit weniger als 100 Beschäftigten zu erstrecken.
Arbeitgeber sollen die Informationen im Rahmen der Berichtspflicht lediglich in Textform bereitstellen müssen.
Die Kommission plädiert mehrheitlich für eine Angemessenheitsvermutung und die Einführung eines Stufenmodell für tarifgebundene Arbeitgeber. Die Vergleichsgruppenbildung soll zunächst anhand der tariflichen Entgeltgruppe erfolgen und eine Korrektur nur erforderlich sein, wenn nachgewiesen wird, dass die tarifliche Gruppenbildung Art. 4 Abs. 4 EntgTranspRL nicht entspricht.
Die Kommission plädiert mehrheitlich dafür, die Auskunft nur auf das im Vorjahreszeitraum gezahlte Bruttogesamtentgelt zu erstrecken, aufgeschlüsselt in Bruttojahresentgelt und Bruttostundenentgelt, ohne Aufschlüsselung in einzelne Entgeltbestandteile.
Die breite Mehrheit der Kommission sieht es als sachgerecht und unionsrechtskonform an, dass jeder Beschäftigte einmal im Jahr Auskunft über das vorangegangene Kalenderjahr beanspruchen können.
Die Kommission teilt mehrheitlich nicht die Auffassung, dass aus dem Verschlechterungsverbot des Art. 27 EntgTranspRL folgt, dass neben durchschnittlichen Entgelthöhen auch der Medianwert genannt werden müsse.
Die Kommission ist einstimmig der Überzeugung, dass die Möglichkeit zur Digitalisierung bzw. Automatisierung je Arbeitgeber und eingesetztem HR-System sehr unterschiedlich ausfallen wird. Die Kommission hält die Zurverfügungstellung diverser Tools, die den Vorgaben der Entgelttransparenz-Richtlinie entsprechen, z.B. zur Unterstützung bei der Arbeitsbewertung und der Vergleichsgruppenbildung und die Bereitstellung standardisierter Reporting-Templates für sachgerecht.
Die BDA kritisiert, dass die Richtlinie selbst ein Bürokratietreiber ist und Fairness mit gesetzlich angeordneter Gleichmacherei verwechselt. Tarifverträge als Ergebnis kollektiver Verhandlungen bedürfen uneingeschränkten Schutzes vor staatlicher Kontrolle, und die Angemessenheitsvermutung ist nicht verhandelbar. Jede nachträgliche Kontrolle bestehender tariflicher Bewertungs- und Entgeltsysteme stellt einen unzulässigen Eingriff in den kollektivrechtlichen Gestaltungsspielraum der Tarifpartner dar.
Nach Auffassung des DGB sollte beim anstehenden Gesetzgebungsprozess das Gesetzesziel – die Durchsetzung des Grundsatzes gleichen Entgelts bei gleicher und gleichwertiger Arbeit für Männer und Frauen – im Mittelpunkt stehen. Der Endbericht enthält viele Vorschläge, die mit den Anforderungen der EntgTranspRL nicht vereinbar sind und geeignet sind, die Analyse- und Durchsetzungsmechanismen der EntgTranspRL außer Kraft zu setzen, insbesondere werden die Berichtspflichten und die gemeinsame Entgeltbewertung massiv geschwächt.
Obwohl die EntgTranspRL eindeutig Tarifnormen nicht von den Anforderungen der Entgeltgleichheit ausnimmt, sind die Vorschläge der Kommission genau darauf gerichtet, Tarifnormen auszunehmen.
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für Unternehmen, aktiv zu werden. Die Veröffentlichung des Abschlussberichts markiert den Übergang von der Diskussion zur konkreten Gesetzgebung. Wer die kommenden Monate nutzt, um sich systematisch vorzubereiten, kann die neuen Anforderungen deutlich effizienter und kostengünstiger umsetzen als im Eilverfahren kurz vor oder nach Inkrafttreten eines Gesetzes.
Eine nicht rechtstreue und fristgerechte Umsetzung kann für Gesetzgeber und Unternehmen aufwendig und teuer werden. Unternehmen müssen mit individuellen Klagen rechnen, und der Bundesrepublik droht ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof.