Krankschreibung im Ausland: Gleiche Grundsätze für die Erschütterung des Beweiswerts

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Prof. Dr. Martin Schimke, LL.M.

Of Counsel
Deutschland

Als Of Counsel und Mitglied des Sportrechtsteams in unserem Düsseldorfer Büro bin ich ausgewiesener Experte mit jahrzehntelanger Erfahrung im Bereich Sportrecht. Ferner bin ich Fachanwalt für Arbeitsrecht.

Ein Arbeitnehmer ließ sich während seines Urlaubs in Tunesien ein Attest für eine über die Dauer des Urlaubs hinausgehende Arbeitsunfähigkeit ausstellen. Die Arbeitgeberin erkannte die Bescheinigung nicht an und verweigerte die Entgeltfortzahlung für diesen Zeitraum. Das BAG stellte nun fest, dass der Beweiswert von Bescheinigungen aus dem Nicht-EU-Ausland anhand der gleichen Grundsätze wie solche aus Deutschland zu überprüfen ist. 

BAG, Urteil v. 15.01.2025 – 5 AZR 284/24

Der Ausgangsfall: Erkrankung des Arbeitnehmers während Urlaubsaufenthalt in Tunesien

Ein seit 2002 bei der Arbeitgeberin beschäftigter Lagermitarbeiter war im Jahr 2022 für drei Wochen nach Tunesien verreist. Zwei Tage vor Ende des Urlaubs, am 7. September 2022, stellte ein Arzt vor Ort ihm aufgrund schwerer Beschwerden ein Attest aus. Laut diesem sei er bis zum 30. September 2022 arbeitsunfähig und dürfe in dieser Zeit nicht reisen. Daraufhin buchte sich der Arbeitnehmer am Folgetag ein neues Fährticket für seine Heimreise mit dem PKW und reiste am 29. September 2022 zurück nach Deutschland. Dort angekommen stellte ihm ein Arzt am 4. Oktober 2022 eine Erstbescheinigung bis einschließlich 8. Oktober 2022 aus.

Dabei handelte es sich nicht um die erste Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, die zeitlich mit Urlaubsreisen zusammentrafen. Bereits in den Jahren 2017, 2019 sowie 2020 hatte er in diesem Zusammenhang Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt.

Die Arbeitgeberin erkannte das ausländische Attest auch nach Einreichung einer weiteren Bescheinigung des tunesischen Arztes nicht als Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an und verweigerte die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 (1) EFZG. Die Dauer der Krankschreibung ohne angeordnete Wiedervorstellung des Patienten, die weite Heimreise während der Krankschreibung sowie die vergleichbaren Vorkommnisse in den vorherigen Jahren ließen in der Gesamtschau grundlegende Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit aufkommen. Diese genügen nach Ansicht der Arbeitgeberin, um den Beweiswert des ärztlichen Attests zu erschüttern. Der Arbeitnehmer klagte daraufhin auf Zahlung des ausstehenden Entgelts.

BAG: Gesamtschau der Umstände für die Erschütterung des Beweiswerts maßgebend

Nachdem der Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht mit seiner Klage keinen Erfolg hatte, entschied das Landesarbeitsgericht München in der Berufung in seinem Sinne und verurteilte die Arbeitgeberin mit Urteil vom 16. Mai 2024 (Az. 9 Sa 538/23) zur Zahlung von 1.583,02 EUR netto nebst Zinsen.

Das BAG stimmte dem LAG zwar dahingehend zu, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus dem Ausland einem in Deutschland ausgestellten Attest gleichkomme, sofern der Arzt zwischen einer Erkrankung einerseits und einer daraus folgenden Arbeitsunfähigkeit andererseits differenziere. Ob der Beweiswert der Bescheinigung erschüttert sei, müsse – entgegen den Ausführungen des LAG – jedoch nicht für die einzelnen Faktoren isoliert, sondern vielmehr im Rahmen einer Würdigung der gesamten Umstände festgestellt werden. Kann die Arbeitgeberin aufgrund einer Gesamtschau der Aspekte den Beweiswert in Zweifel ziehen, trifft den Arbeitnehmer in der Folge die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung. Dies sei der Arbeitgeberin mit ihrem Vorbringen in dem Verfahren gelungen.

Wie geht es weiter?

Eine finale gerichtliche Klärung steht für den konkreten Fall noch aus. Das BAG verwies das Verfahren zurück an das LAG München. Dies muss sich nun erneut mit dem Fall befassen und dabei insbesondere feststellen, ob der Arbeitnehmer das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch hinreichend darlegen und beweisen kann.

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