Das BAG bestätigte kürzlich eine Entscheidung des LAG Hamm (wir berichteten umfassend bereits in unserem Newsletter im März 2024), wonach eine beklagte Arbeitgeberin einem Bewerber den Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenhalten konnte. Dieser hatte sich nur beworben, um den formalen Bewerberstatus zu erlangen und Ansprüche auf Entschädigung geltend machen zu können.
Das BAG hält damit auch weiter an seiner bisherigen Linie fest, wonach ein solcher Bewerber keinen Entschädigungsanspruch wegen Geschlechterdiskriminierung gemäß § 15 Abs. 2 AGG hat.
(BAG, Urteil v. 19.09.2024 – 8 AZR 21/24)
Der zum Industriekaufmann ausgebildete männliche Kläger bewarb sich bei der Beklagten, einer Betreiberin einer Ingenieursgesellschaft, auf eine Stelle als „Bürokauffrau/Sekretärin“. Die Beklagte gab dem Kläger auf seine Bewerbung keine Rückmeldung und besetzte die Stelle mit einer Frau.
Das LAG Hamm entschied bereits in der Vorinstanz zugunsten der Beklagten. Besondere Bedeutung maß es den Umständen zu, dass der Kläger:
Nach den Feststellungen des LAG Hamm richtete der Kläger zudem sein Verhalten systematisch und zielgerichtet darauf aus, ein „Geschäftsmodell“ zu etablieren, also Einnahmen zu erzielen. Er hatte sich auf eine Vielzahl von ausgeschriebenen Stellen als „Sekretärin“ beworben und allein vor dem ArbG Berlin binnen 15 Monaten elf Klagen aufgrund einer behaupteten Benachteiligung wegen des Geschlechts anhängig gemacht.
Vor dem Hintergrund der o.g. Gesichtspunkte und der erkennbaren Absicht des Klägers lag dem LAG Hamm zufolge sowohl das für Rechtsmissbrauch erforderliche objektive als auch das subjektive Element vor, das auch der EuGH fordert.
Dieser Würdigung schloss sich das BAG an. Dabei ließ es auch die angeblichen Motive des Klägers, seinen „Marktwert“ als Arbeitskraft zu testen und Arbeitgeber vor geschlechtsbezogenen Diskriminierungen abzuschrecken, nicht ausreichen, um Rechtsmissbrauch zu verneinen.
Die erhoffte klare Positionierung des BAG gegen das fortentwickelte „Geschäftsmodell AGG-Hopping“ ist erfolgt. Dies ist auch rechtspolitisch begrüßenswert. „AGG-Hoppern“ und deren sachwidriger Ausnutzung des gleichsam bedeutsamen wie schützenswerten Hintergrundes des AGG wird klar eine Absage erteilt.
Arbeitgebern ist ungeachtet dessen zu raten, den eigenen Ausschreibungsprozess zu überprüfen und sicherzustellen, dass Stellenanzeigen den jeweils aktuellen gesetzlichen Anforderungen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung entsprechen.
Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des eigentlichen Schutzzweckes des AGG, aber auch mit Blick auf derartige Missbrauchsfälle und das Risiko langwieriger Gerichtsverfahren. Insofern ist zu betonen, dass die Beklagte im nun entschiedenen Fall das Glück hatte, dass der Kläger eine Vielzahl von Anhaltspunkten für sein rechtsmissbräuchliches Verhalten geliefert hatte. Vergleichbar gewichtige Einzelfallumstände dürften erforderlich sein, um entsprechende Klagen erfolgreich abzuwehren. Allein der Umstand einer Vielzahl geführter rechtlicher Verfahren im Anschluss an erfolglose Bewerbungen reicht entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch weiterhin nicht aus. Insofern wird es in jedem Fall auf die Einzelfallumstände ankommen.